Erzählungen / Klaus Thomas Heck zum Krieg in der Ukraine

Allgemeine Zeitung Mainz

Mainz (ots)

Es ist paradox. Jahrelang gelingt es Wladimir Putin sehr erfolgreich, westliche Demokratien zu destabilisieren. Durch Wahlbeeinflussung, Desinformationskampagnen, Hackerangriffe. Doch nun, in der Ukraine, hat der russische Präsident den Krieg der Bilder längst verloren. Während er sich im Kreml hinter endlos langen Tischen verschanzt und Gesprächspartner demütigt, präsentiert sich sein Widersacher Wolodymyr Selenskyj täglich im Internet und besucht auch mal – so wie vor anderthalb Wochen – seine Kämpfer an der Front. Die Botschaft aus Kiew ist klar: Hier stellt sich ein zupackender Regierungschef gegen den kalten Machiavellisten. Und Putin gelingt es nicht, dem eine überzeugende eigene Erzählung entgegenzusetzen.Ist es nicht erstaunlich, dass bis heute völlig nebulös geblieben ist, warum die Ukrainer sich dem Moskauer Diktat unterwerfen sollten? Putins anfängliches Narrativ, hier müsse ein Staat von Nationalsozialisten befreit werden, wurde längst von der Wirklichkeit pulverisiert. Die russischen Soldaten wurden mitnichten als Befreier empfangen. Und sie mussten in vergleichsweise wohlhabenden Orten wie Butscha oder Irpin erleben, dass es den Menschen dort – entgegen der Kreml-Propaganda – oft besser ging als etwa den Bewohnern Sibiriens oder des Kaukasus. Die Gräuel, Plünderungen und Zerstörungen von Butscha oder Irpin sind, so scheint es, auch eine Folge dieser Konfrontation mit der Realität.Putins Traum von einem postsowjetischen Reich alter Ausdehnung mag für seine Moskauer und St. Petersburger Filterblase attraktiv sein. Doch warum sollten Ukrainer, Moldawier, Georgier, Polen oder Balten ihn teilen? Eine Antwort darauf bleibt der russische Alleinherrscher auch im vierten Monat des Krieges schuldig. Im Gegenteil: Seine Bomben auf Zivilisten, die von Moskau offensichtlich geduldeten Massenvergewaltigungen, die nationalistische Rhetorik, die Vertragsbrüche, die Lügen und die Drohungen in alle Himmelsrichtungen entlarven Putin ein ums andere Mal als gefährlichen, nicht vertrauenswürdigen Partner. Und Länder wie Polen, Estland, Lettland oder Litauen beweisen längst, dass ein Leben außerhalb der Moskauer Umklammerung erfolgreicher ist.Der Westen hat der russischen eine weit vielversprechendere Erzählung entgegenzusetzen: ein Leben in Freiheit, Demokratie, Sicherheit und Wohlstand. Wichtig wird indes sein, diesen Traum nach Kriegsende auch mit Leben zu füllen. Das wird sowohl für die Europäer als auch für die Ukraine – bislang alles andere als eine Vorzeigedemokratie – eine Herkulesaufgabe. Der Fall von Afghanistan ist indes ein mahnendes Beispiel: Dort hatten die Bürger jahrelang mit ansehen müssen, wie westliche Gelder entgegen aller Versprechen vor allem in den Händen korrupter Regierungsmitglieder landeten – und wie niemand in Berlin, Paris, London oder Washington das so genau wissen wollte. 2021 haben die alten islamistischen Terrorherrscher Afghanistan zurückerobert. Auf Widerstand stießen sie kaum. Weil sich die westliche Erzählung für die afghanische Zivilbevölkerung eben als genau das entpuppt hatte: als eine simple Erzählung, ein Märchen, das an der Wirklichkeit zerschellt war.

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