Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 1. Senat | 1 ME 133/21 | Beschluss | Bauaufsichtliches Einschreiten gegen Überbelegung eines Stalles, Zwangsgeldfestsetzung

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OVG Lüneburg 1. Senat,
Beschluss vom
15.11.2021, 1 ME 133/21, ECLI:DE:OVGNI:2021:1115.1ME133.21.00

Art 3 Abs 1 GG, § 79 Abs 1 BauO ND, § 64 Abs 5 SOG ND, § 70 Abs 1 VwVG ND, § 79 Abs 1 Nr 1 VwGO

Verfahrensgang

vorgehend VG Hannover, 20. August 2021, Az: 12 B 2434/21, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 12. Kammer – vom 20. August 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 22.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, ein Landwirt, wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung, mit der der Antragsgegner eine Reduzierung der Tierzahlen angeordnet hat, sowie gegen entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer eines mit Baugenehmigung vom 6. Mai 2003 genehmigten Boxenlaufstalls mit Selektionsbereich für kranke Tiere/Abkalbestall mit 98 Stallplätzen. Die grüngestempelte Betriebsbeschreibung konkretisiert die höchstens zu haltenden Tiere auf 63 Milchkühe, 6 Färsen und 29 Jungrinder. Bei zahlreichen Kontrollen – erstmals im März 2019 – stellte der Antragsgegner eine erhebliche Überschreitung der genehmigten Zahl der Milchkühe fest; die Gesamttierzahl lag um mehr als die Hälfte über dem genehmigten Tierbestand. Der Antragsteller sagte daraufhin nach zahlreichen Gesprächen eine Reduzierung zu; eine Kontrolle im Juni 2020 ergab indes, dass sich 144 Milchkühe in dem Stall befanden und sich die Tierzahl im Vergleich zur Kontrolle rund sechs Wochen zuvor erhöht hatte.

3

Der Antragsgegner ordnete daraufhin mit Verfügung vom 4. Juni 2020 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Verringerung der Zahl der Milchkühe auf 114 bis zum 1. August 2020 und auf die genehmigten 63 bis zum 1. Dezember 2020 an. Zugleich drohte er jeweils Zwangsgelder in Höhe von 10.000 EUR an. Nachdem eine weitere Kontrolle ergeben hatte, dass der Antragsteller der Verfügung nicht nachgekommen war, setzte der Antragsgegner mit Verfügung vom 11. August 2020 das angedrohte Zwangsgeld fest und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 15.000 EUR an. Unter dem 1. Dezember 2020 verlängerte der Antragsgegner die Befolgungsfrist bis zum 8. Januar 2021. Nachdem eine Kontrolle am 20. Januar 2021 eine Zahl von 118 Milchkühen ergeben hatte, setzte der Antragsgegner unter dem 28. Januar 2021 ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 EUR fest und drohte zugleich ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 15.000 EUR an.

4

Der Antragsteller erhob gegen alle Verfügungen Widersprüche, die der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheiden vom 18. März 2021 zurückwies, und beantragte die Wiederherstellung/Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluss vom 20. August 2021 weitgehend abgelehnt; erfolgreich war der Antrag nur, soweit er sich gegen die Zwangsgeldfestsetzung vom 11. August 2020 richtete. Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

II.

5

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angegriffenen Beschlusses.

6

Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, sowohl die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit als auch die Ermessensbetätigung in den verschiedenen Verfügungen seien defizitär. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sei gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Ausgangsverwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden habe. Das bedeute, dass die Begründungen der Widerspruchsbescheide allein maßgeblich seien, die eine solche indes vermissen ließen. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu.

7

Ausgangsverwaltungsakt und Widerspruchsbescheid stellen – wie der Antragsgegner zu Recht entgegnet hat – eine prozessuale Einheit dar, sodass der Ausgangsverwaltungsakt in der durch den Widerspruchsbescheid geprägten Gestalt zur gerichtlichen Prüfung steht. Für das Gericht ist dementsprechend die Begründung (und die darin bei Ermessensakten zum Ausdruck kommende Ermessensausübung) in der Gestalt maßgeblich, die sie durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass es stets allein auf den Widerspruchsbescheid ankommt. Im Gegenteil bestimmt die Widerspruchsbehörde in ihrem Widerspruchsbescheid, ob sie die Begründung des Ausgangsverwaltungsakts unverändert bestehen lässt, um weitere Elemente ergänzt oder ganz bzw. teilweise ersetzt. Allein maßgebend ist der Widerspruchsbescheid daher nur, soweit die Widerspruchsbehörde den Ausgangsverwaltungsakt inhaltlich ändert (vgl. Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 79 Rn. 4 [Stand der Bearbeitung: Oktober 2008]). Soweit keine inhaltliche Änderung vorliegt und die ursprüngliche Begründung nicht ersetzt, sondern lediglich übernommen oder ergänzt wird, sind der Ausgangsverwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid auch hinsichtlich der Begründung als Einheit zu betrachten. Ein solcher Fall liegt hier vor. Mit den Widerspruchsbescheiden ist der Antragsgegner lediglich auf mit den Widersprüchen vorgebrachten neuen Sachvortrag eingegangen; er hat sich jedoch nicht von der ursprünglichen Begründung distanziert und diese erst recht nicht ganz oder teilweise durch eine neue Begründung ersetzt.

8

Ohne Erfolg zieht der Antragsteller in Zweifel, dass die bei der letzten Kontrolle festgestellte Tierzahl tatsächlich nicht von der Baugenehmigung gedeckt war. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass es auf die grüngestempelte Betriebsbeschreibung und die darin enthaltene Aufschlüsselung des zulässigen Tierbestandes ankommt. Dem tritt der Senat bei; liegen die Tierzahlen auch nur kurzzeitig oberhalb des im Sinne einer Obergrenze genehmigten Bestandes, liegt ein Baurechtsverstoß vor. Ob derartige Verstöße – wie der Antragsteller meint – üblich sind, entzieht sich der Kenntnis des Senats; an der eindeutigen Rechtslage würde dies indes nichts ändern.

9

Ermessensfehler vermag der Senat mit dem Verwaltungsgericht nicht zu erkennen. Ein Brand auf der Hofstelle und ein psychischer Zusammenbruch begründen zweifellos schwierige persönliche Umstände; derartige Umstände rechtfertigen es indes schon im Ausgangspunkt nicht, über einen Zeitraum von – zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsbescheide – rund zwei Jahren in gravierendem Umfang gegen die Baugenehmigung zu verstoßen. Während dieses Zeitraums war der Bestand an Milchkühen in dem in Rede stehenden Stall in etwa doppelt so hoch wie genehmigt, zeitweise lag die Überschreitung noch deutlich darüber. Das lässt weniger auf eine vorübergehende Krisensituation als auf einen systematischen und dauerhaften Baurechtsverstoß schließen, der das öffentliche Interesse stark berührende Fragen des Tierwohls und – angesichts des nahe gelegenen Waldes – des Immissionsschutzes aufwirft. Hinzu kommt, dass die zahlreichen Gespräche und das lange Zuwarten des Antragsgegners bis zu einem bauaufsichtlichen Einschreiten sowie die zeitlich gestaffelte Verpflichtung zur Reduzierung der Tierzahlen belegen, dass der Antragsgegner die persönlichen Umstände des Antragstellers stets im Blick hatte und sich – auch darin ist dem Verwaltungsgericht zu folgen – um eine verhältnismäßige Lösung bemüht hat.

10

Für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz trägt der Antragsteller keinerlei konkrete Anhaltspunkte vor. Rügt der Adressat einer bauaufsichtlichen Verfügung eine Verletzung des Gleichheitssatzes, ist es nach ständiger Senatsrechtsprechung seine Sache, dies durch konkrete Angabe räumlich benachbarter Vergleichsfälle zu belegen (vgl. Senatsbeschl. v. 22.8.2011 – 1 LA 4/11 -, RdL 2011, 286 = juris Rn. 19). Daran hält der Senat mit Blick darauf, dass der Sache nach eine „Gleichbehandlung im Unrecht“ geltend gemacht wird, sowie auf den daraus folgenden Ausnahmecharakter des Einwands fest.

11

Die Zwangsmittelauswahl begegnet keinen Bedenken. Der Antragsgegner hat die Wahl des Zwangsmittels damit begründet, es handele sich insoweit um das mildeste Mittel. Das ist nicht zu beanstanden. Ob auch eine Wegnahme von Tieren im Wege des Verwaltungszwangs in Betracht gekommen wäre (vgl. dazu NdsOVG, Beschl. v. 28.3.2011 – 11 ME 96/11 -, NdsVBl 2011, 201 = juris Rn. 5), bedarf insoweit keiner Vertiefung. Schon angesichts der damit verbundenen immensen Kosten hätte darin kein milderes Mittel gelegen.

12

Der Antragsteller irrt schließlich, falls sein Vorbringen so zu verstehen sein sollte, dass die der Ausgangsverfügung zugrundeliegenden Ermessenserwägungen bei jeder Maßnahme des Verwaltungszwangs zu wiederholen gewesen seien. Maßnahmen des Verwaltungszwangs dienen der Durchsetzung einer vollziehbaren Grundverfügung; Einwendungen, die sich der Sache nach auf die Grundverfügung beziehen, sind demzufolge im Vollstreckungsverfahren unbeachtlich (vgl. § 70 Abs. 1 NVwVG i.V. mit § 64 Abs. 5 NPOG). Hinzu kommt, dass das Ermessen bei der Festsetzung eines Zwangsmittels nach dessen Androhung intendiert ist (vgl. VGH BW, Beschl. v. 2.8.2019 – 1 S 1263/19 -, NVwZ-RR 2020, 297 = juris Rn. 6 f.; OVG NRW, Beschl. v. 31.8.2020 – 10 A 1906/20 -, juris Rn. 4; Beschl. v. 6.8.2021 – 2 B 973/21 -, juris Rn. 6); die Vollstreckung ist die Regel; das Absehen davon die Ausnahme.

13

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

14

Die Streitwertfestsetzung, die unter Berücksichtigung des im Beschwerdeverfahren reduzierten Streitgegenstands der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung folgt, beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 


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