Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 13. Senat | 13 ME 276/22 | Beschluss | Anordnung der Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Abschiebung

Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 13. Senat | 13 ME 276/22 | Beschluss | Anordnung der Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Abschiebung

Das Verwaltungsgericht kann im Einzelfall davon absehen, den behördlichen Antrag dem betroffenen Ausländer oder sonstigen Wohnungsinhaber zuzustellen und diesem vor der richterlichen Anordnung rechtliches Gehör zu gewähren. § 85 Satz 1 VwGO zwingt das Verwaltungsgericht mangels Vorliegens einer „Klage“ und – insoweit maßgeblich – mangels eines kontradiktorischen Verfahrens (vgl. zum Anwendungsbereich der Bestimmung: Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 85 Rn. 2 f. (Stand: Januar 2020)) nicht dazu, den behördlichen Antrag dem von der Durchsuchung betroffenen Ausländer oder sonstigen Wohnungsinhaber zuzustellen. Dem von einer Durchsuchungsanordnung betroffenen Ausländer oder sonstigen Wohnungsinhaber ist aber nach Art. 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör zu gewähren. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs erfordert grundsätzlich, dass der Einzelne vor gerichtlichen Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, zu Wort kommen kann, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.6.1993 – 1 BvR 878/90 -, BVerfGE 89, 28, 35 f. – juris Rn. 26 f. m.w.N.). Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist – ohne dass es insoweit einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung bedarf (vgl. zur Reichweite des Gesetzesvorbehalts bei der Ausgestaltung von Verfahrensordnungen zur Gewährleistung der Justizgrundrechte: BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 -, BVerfGE 107, 395, 408 ff. – juris Rn. 51 ff.; Beschl. v. 29.11.1989 – 1 BvR 1011/88 -, BVerfGE 81, 123, 129 f. – juris Rn. 20; Beschl. v. 9.8.1978 – 2 BvR 831/76 -, BVerfGE 49, 148, 157 f. – juris Rn. 25 ff.; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 25 (Stand: September 2016) m.w.N.) – eine Verweisung der Betroffenen auf eine nachträgliche Anhörung mit dem Grundgesetz vereinbar. Ob eine Gefährdung besteht, muss das zuständige Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und nach eigenem Ermessen entscheiden, wobei es nicht gehindert ist, allgemeine Erfahrungssätze zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.9.2004 – 2 BvR 2105/03 -, juris Rn. 4; Beschl. v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 -, BVerfGE 57, 346, 359 f. – juris Rn. 54). Hiernach kann es insbesondere bei der für einen bestimmten Zeitpunkt beabsichtigten Durchsuchung der Wohnung eines Ausländers zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung dieses Ausländers nach § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG ermessensgerecht sein, vor der richterlichen Anordnung den behördlichen Antrag dem betroffenen Ausländer nicht zuzustellen und dem betroffenen Ausländer ausnahmsweise kein rechtliches Gehör zu gewähren, sondern diesen auf eine nachträgliche Überprüfung der Durchsuchungsanordnung (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung: Senatsbeschl. v. 30.8.2022 – 13 PA 205/22 -, V.n.b. Umdruck S. 2 ff.) zu verweisen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.3.2021 – 18 E 221/21 -, juris Rn. 33 ff.; OVG Bremen, Beschl. v. 30.9.2019 – 2 S 262/19 -, juris Rn. 23).

Original Quelle Niedersachsen.de

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