Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 2. Senat | 2 L 478/00 | Beschluss | Situation der Mitglieder der Assyrisch-Demokratischen Organisation (ADO)

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OVG Lüneburg 2. Senat,
Beschluss vom
15.01.2001, 2 L 478/00, ECLI:DE:OVGNI:2001:0115.2L478.00.0A

Art 16a Abs 1 GG, § 51 Abs 1 AuslG

Verfahrensgang

vorgehend VG Lüneburg, 6. Dezember 1999, Az: 1 A 692/97

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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Soweit das Verwaltungsgericht den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte durch die Beklagte abgelehnt hat, fehlt es an der erforderlichen Darlegung eines Zulassungsgrundes (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Denn die Klägerin hat die Feststellung des Verwaltungsgerichts, ihrer Anerkennung als Asylberechtigte stehe die Drittstaatenregelung des § 26 a AsylVfG entgegen, weil sie die behauptete Einreise auf dem Luftweg nicht glaubhaft gemacht habe, nicht mit Zulassungsgründen gemäß § 78 Abs. 3 Nrn. 1 – 3 AsylVfG angefochten.

3

Der Zulassungsantrag hat auch nicht hinsichtlich der von der Klägerin erstrebten Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG Erfolg. Denn die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) liegen nicht vor.

4

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, inwieweit Mitglieder der Assyrisch-Demokratischen Organisation (ADO) in Syrien generell verfolgt werden und welche Auswirkungen dies auf sie – die Klägerin – bei einer Rückkehr nach Syrien hätte, bedarf angesichts der Erkenntnismittellage keiner Klärung in einem Berufungsverfahren.

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Aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich hinsichtlich der Frage der politischen Verfolgung von Mitgliedern der ADO in Syrien folgendes Bild:

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Das Auswärtige Amt hat in seinen Lageberichten vom 19. Juli 2000 und 24. Januar 2000 ausgeführt, dass die bloße Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Minderheit in Syrien keine Repressionen auslöse. Die syrischen Sicherheitsorgane beobachteten sehr genau die Tätigkeit der Oppositionellen im Land und schritten bei Vorliegen von Verdachtsmomenten ein, allerdings ausdrücklich ohne auf die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Minderheit abzustellen. Ein anderes Vorgehen könne die Legitimität des herrschenden Alawitenregimes selbst gefährden.

7

In seinen Lageberichten vom 13. Januar 1999, 3. Juli 1998 und früheren Lageberichten (vgl. etwa Lagebericht vom 16.1.1998) hat das Auswärtige Amt bezogen auf Vereinigungen religiöser und ethnischer Minderheiten dargelegt, sie würden geduldet, soweit sie sich auf die Pflege von Sprache, Kultur und Brauchtum beschränkten und nicht den Verdacht erweckten, unter dem Deckmantel kultureller Betätigung politische Opposition zu betreiben.

8

In der Auskunft vom 13. Januar 1997 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat das Auswärtige Amt ausgeführt, das syrische Regime habe die ADO als staatsfeindlich betrachtet und sei gegen sie vorgegangen. Vor diesem Hintergrund hätten Mitglieder der ADO zumindest in der Vergangenheit mit politischer Verfolgung rechnen müssen. Soweit bekannt, sei die ADO seit mehreren Jahren jedoch nicht mehr besonders aktiv. Das Hauptaugenmerk der Sicherheitsorgane gelte nach wie vor den Moslembrüdern, irakischen Oppositionsgruppen und allenfalls Libanesen, die häufiger der Spionage für Israel verdächtigt würden. Angesichts dieses Umstandes sei eher wahrscheinlich, dass ein rückkehrender Syrer, der Mitglied in der ADO sei, zwar kontrolliert und überwacht werde, eine unmittelbare politische Verfolgung jedoch nicht einsetze. Allerdings könne eine solche auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

9

In seiner wesentlich aktuelleren Auskunft vom 29. Juni 1999 an das Verwaltungsgericht Münster hat das Auswärtige Amt dargelegt, dass die ADO in weiten Teilen nur im Ausland tätig sei und daher nicht als syrisch-inländische Oppositionsgruppe angesehen werde. In der Vergangenheit habe sie sich zumindest zeitweilig im Grenzbereich antiirakischer Aktivitäten und rein kultureller Aktivitäten in Syrien, aber auch als antisyrisch betrachteter Aktivitäten bewegt. Ob die ADO auch heute noch dergestalt vom syrischen Sicherheitsapparat eingeschätzt werde, lasse sich nicht feststellen. Verschärfte Repressionen würden jedenfalls aber erst ergriffen werden, wenn die Sicherheitsorgane von einer aktiven und konkreten Tätigkeit mit gewisser Wirkung oder der Gefahr solcher Wirkung in der Öffentlichkeit gegen das syrisch-staatliche System ausgingen.

10

Nach den Erkenntnissen des Deutschen Orient-Instituts ist die ADO eine kulturell-religiöse Vereinigung, die keine konkreten, originär-politischen Zielsetzungen verfolgt und nicht zu den Oppositionsgruppen in Syrien gehört (vgl. Auskünfte vom 28.2.1997 an das VG Sigmaringen, vom 29.2.1996 an das VG Stuttgart und vom 14.4.1993 an das VG Schleswig).

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Die Würdigung der vorgenannten Erkenntnismittel ergibt zur Überzeugung des Senats, dass syrische Staatsangehörige allein wegen der Zugehörigkeit zur ADO in ihrem Heimatstaat nicht mit politischer Verfolgung zu rechnen haben. Diese Rechtsauffassung vertritt in ständiger Rechtsprechung auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. Urt. v. 19.5.1998 – A 2 S 28/98 -, UA S. 40 m. w. Nachw.).

12

Soweit demgegenüber vereinzelt in Erkenntnismitteln pauschal dargelegt wird, die Anhänger der ADO müssten mit Verfolgung durch den syrischen Staat rechnen (vgl. etwa amnesty international, Auskunft vom 19.6.1996 an das VG Koblenz; Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., Syrien: Dokumentation zur Gefährdung syrischer Flüchtlinge bei Abschiebung, September 1996; Link, Syrien: Die blutigen Krallen des Löwen von Damaskus – Zur Gefährdung syrischer Flüchtlinge bei Rückkehr oder Abschiebung -, November 1996), kann dieser Einschätzung nicht gefolgt werden. Denn diese Auffassung, die in deutlichem Widerspruch zu den anders lautenden und zum Teil aktuelleren Erkenntnissen der oben genannten sachkundigen Stellen (Auswärtiges Amt, Deutsches Orient-Institut) steht, ist nicht durch konkrete Tatsachen, insbesondere Referenzfälle, belegt worden (vgl. ebenso VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.5.1998, a.a.O., UA S. 41).

13

Auch in seiner aktuelleren Auskunft vom 9. Dezember 1998 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat amnesty international keine Referenzfälle benannt. In dieser Auskunft heißt es, soweit amnesty international bekannt sei, sei die ADO in Syrien auch weiterhin verboten. Über die spezifische Verfolgungssituation von assyrischen oppositionellen Gruppierungen in Syrien lägen Amnesty international aber keine bestätigten Informationen vor. Bis zu einem gewissen Grad würden in Syrien Organisationen religiöser oder ethnischer Minderheiten, die sich in ihrer Zielsetzung auf die Pflege des Brauchtums, ihrer Kultur und Sprache beschränkten, zwar beobachtet, aber doch toleriert. Allerdings seien die Grenzen bei Aktivitäten betreffend die Pflege des Brauchtums, der Sprache und Kultur zu politischen Aktivitäten oft fließend. Deshalb seien auch staatliche Zwangsmaßnahmen in hohem Maße abhängig von der jeweiligen innenpolitischen Lage und in welchem Ausmaß ein „oppositionelles Hervorwagen“ gerade registriert worden sei. Amnesty international seien Berichte zugegangen, denen zufolge sich die ADO auch für das politische Selbstbestimmungsrecht der assyrischen Minderheit in Syrien einsetze. Sollten diese Berichte zutreffen, dürfte sich für Mitglieder der ADO, sofern die Mitgliedschaft den syrischen Behörden bekannt werde, die Gefahr, von Sicherheitsbehörden verhaftet und gefoltert zu werden, erhöhen. Denn die Forderung nach einem politischen Selbstbestimmungsrecht dürfte in den Augen syrischer Sicherheitsorgane als Separatismus gewertet werden und demzufolge zu Verfolgungsmaßnahmen führen. Dabei dürfte der Status eines Mitglieds bzw. Anhängers der ADO als ehemaliger Asylantragsteller in der Bundesrepublik Deutschland den von syrischen Sicherheitsbehörden angenommenen Vorwurf einer gegen Syrien gerichteten Aktivität verschärfen. Die Exilorganisationen der ADO im westlichen Ausland seien gut organisiert und verfügten über ein breites Kommunikationsnetz. Dieses sei dem syrischen Staat bekannt. Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass die syrischen Behörden großes Interesse daran hätten, an weitergehende Informationen und Hinweise auf die Tätigkeit der Exil-ADO zu gelangen. Im Falle einer Verhaftung müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Verhör und damit verbunden der Gefahr von Folter gerechnet werden. Folter werde von den syrischen Sicherheitsbehörden, die aufgrund der seit 1963 geltenden Notstandsgesetzgebung mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet seien, systematisch angewendet, um Informationen zu erzwingen und Oppositionelle bzw. potentielle Oppositionelle einzuschüchtern.

14

Die zusammenfassende Würdigung aller Erkenntnismittel rechtfertigt nicht die Annahme, dass allein die bloße Mitgliedschaft in der ADO die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Syrien begründet. Wie sich insbesondere auch aus der Auskunft von amnesty international vom 9. Dezember 1998 an das Verwaltungsgericht Sigmaringen ergibt, kommt es für die Beantwortung der Frage, ob Mitglieder der ADO der Verfolgungsgefahr unterliegen, vielmehr immer auf den jeweiligen Einzelfall an.

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Da die Frage der politischen Verfolgung von Mitgliedern der ADO durch die vorstehend dargestellte Erkenntnismittellage beantwortet ist, bedarf es nicht mehr einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren. Die Frage, ob die Klägerin als Mitglied der ADO in Syrien politisch verfolgt worden ist und ob ihr eine solche Verfolgung bei der Rückkehr nach Syrien droht, hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall verneint. An diese Bewertung ist der Senat im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens gebunden. Darauf, ob das Verwaltungsgericht den Fall der Klägerin zutreffend eingeschätzt hat, kommt es im Zulassungsverfahren nicht an.

16

Die sich aus dem Zulassungsantrag ergebende weitere Frage, ob Mitgliedern der ADO, die auch während ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland Kontakt zu dieser Partei haben, bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, bedarf ebenfalls keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Denn in der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass für Personen, die nach Syrien zurückkehren, nur beim Vorliegen besonderer Umstände, die geeignet sind, bei den syrischen Behörden den Verdacht zu begründen, dass sich die Betreffenden in Syrien oder im Ausland gegen das syrische Regime politisch betätigt haben, die Gefahr besteht, politisch verfolgt zu werden (vgl. Urt. d. Sen. v. 22.6.1999 – 2 L 666/98 – und – 2 L 670/98 -). In der Rechtsprechung des Senats ist weiter geklärt, dass grundsätzlich nicht jede untergeordnete exilpolitische Tätigkeit die Gefahr einer Verfolgung durch die syrischen Behörden begründet. Auch insoweit müssen vielmehr bestimmte besondere Umstände vorliegen, die ein Verfolgungsinteresse syrischer Stellen hervorrufen. Solche Umstände sind etwa gegeben, wenn sich die exilpolitischen Tätigkeiten unmittelbar gegen die syrische Regierung richten und wenn es sich um eine intensive, nicht vom Staat selbst gelenkte politische Betätigung an herausragender Stelle handelt (vgl. Beschl. d. Sen. v. 6.10.2000 – 2 L 3355/00 -). Die Klägerin hat mit ihrem Zulassungsantrag keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die es rechtfertigen könnten, von der genannten Rechtsprechung, die auf einer Gesamtwürdigung der einschlägigen Erkenntnismittel beruht, abzurücken. Ob die erforderlichen besonderen Umstände gegeben sind, ist eine Frage des Einzelfalls, die einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zugänglich ist.

 


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