Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 5. Senat | 5 ME 80/21 | Beschluss | Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs (Ausblenden von Leistungen/manipulative Begünstigung eines Bewerbers)

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Soweit die Antragsgegnerin unter Berufung auf ihr Personalentwicklungskonzept aus dem Jahr 2013 und ihr Konzept zur Qualifizierung von Nachwuchskräften vom Februar 2018 darauf verweist, sie habe bei der Auswahlentscheidung für eine Leitungsfunktion eine tatsächliche Führungserfahrung im klassischen Sinne nicht in jedem Einzelfall voraussetzen, sondern auf eine hinreichende Führungskompetenz abstellen wollen, verfängt dieser Einwand schon deshalb nicht, weil dann jedenfalls bei der zweiten Ausschreibung des streitgegenständlichen Dienstpostens im Mai 2018 zu erwarten gewesen wäre, dass die Antragsgegnerin in Kenntnis ihres Konzeptes zur Qualifizierung von Nachwuchskräften vom Februar 2018 und ihrer Absicht, Bewerber in „Führungspositionen“ ohne klassische Vorgesetztenfunktionen bei Auswahlverfahren zu berücksichtigen, ihr Anforderungsprofil entsprechend abgefasst hätte. Dies war aber nicht der Fall. Soweit die Antragsgegnerin sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, ihr sei erst durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. August 2018 deutlich geworden, dass das Kriterium der konkreten Führungserfahrung im Rahmen einer Auswahlentscheidung nicht ohne Weiteres in eine abstrakte Führungskompetenz umgedeutet werden könne, vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen. Denn schon die Abfassung des Anforderungsprofils ist insoweit eindeutig, indem die Antragsgegnerin von den Bewerbern „eine mindestens zweijährige Erfahrung als Führungskraft“ oder „umfangreiche Erfahrungen in der verantwortlichen Umsetzung von Projekten“ verlangt. Dieser klare Wortlaut lässt sich nicht mit der Erwägung in Einklang bringen, abweichend von klassischen Führungserfahrungen habe von den Bewerbern lediglich eine Führungskompetenz erwartet werden sollen. Gegen den erhobenen Einwand spricht ferner, dass das angesprochenen Kriterium als konstitutives („müssen“) Anforderungsprofil von den Bewerbern zu erfüllen war. Es ist grundsätzlich zulässig, dass der Dienstherr im Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens zwischen Kriterien, die zwingend erfüllt sein müssen (= konstitutives/zwingendes Anforderungsprofil), und solchen Kriterien, deren Erfüllung wünschenswert ist (= beschreibendes/fakultatives/nicht-konstitutives Anforderungsprofil), differenziert, und dass er Bewerber schon dann ablehnt, wenn sie bestimmte zwingende Merkmale des Anforderungsprofils nicht erfüllen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.2.2010 – BVerwG 2 C 22.09 -, juris Rn. 15; Nds. OVG, Beschluss vom 26.10.2012 – 5 ME 220/12 -, juris Rn. 13; Beschluss vom 5.9.2014 – 5 ME 135/14 -, juris Rn. 7; Beschluss vom 6.8.2019, a. a. O., Rn. 16). Das Anforderungsprofil selbst muss jedoch den jeweils maßgeblichen rechtlichen Vorgaben entsprechen. In diesem Zusammenhang sind nur solche Kriterien konstitutiv, die objektiv überprüfbar, insbesondere ohne die ansonsten gebotene Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume des Dienstherrn, eindeutig und unschwer festzustellen sind (Nds. OVG, Beschluss vom 1.12.2016 – 5 ME 153/16 -). Demgegenüber kennzeichnet das fakultative/nicht-konstitutive Anforderungsprofil solche Qualifikationsmerkmale, die entweder nicht zwingend vorliegen müssen, weil sie vom Dienstherrn nur „erwünscht“ sind, oder die ihrer Art nach nicht allein anhand objektiv überprüfbarer Faktoren – bejahend oder verneinend – festgestellt werden können (VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 7.12.2010 – 4 S 2057/10 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 14.3.2014 – 6 B 93/14 -, juris Rn. 14; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 22.8. 2014 – 2 MB 17/14 -, juris Rn. 28; Sächs. OVG, Beschluss vom 27.3.2015 – 2 B 308/14 -, juris Rn. 13; Nds. OVG, Beschluss vom 21.4.2015 – 5 ME 64/15 -; Beschluss vom 10.3.2016 – 5 ME 4/16 -). Bei dem Kriterium, ob und in welcher Ausprägung ein Bewerber über eine bestimmte Fähigkeit – hier die von der Antragsgegnerin angesprochene Führungskompetenz – verfügt, handelt es sich um ein solches, das seiner Art nach nicht allein anhand objektiv überprüfbarer Faktoren im Sinne von bejahend oder verneinend festgestellt werden kann mit der Folge, dass es allenfalls als fakultatives/nicht konstitutives Anforderungsprofil in Betracht kommt. Das genannte Anforderungsprofil ist bei der ersten und zweiten Ausschreibung des streitgegenständlichen Dienstpostens aber ausdrücklich („müssen“) als konstitutives Merkmal zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Antragsgegnerin nicht glaubhaft, dass ihr diese Problematik erst durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. August 2018 deutlich gemacht worden sei und sie sich im Anschluss hieran daher entschlossen habe, von dem Kriterium einer konkreten Führungserfahrung gänzlich Abstand zu nehmen, weil es ihr vorrangig um die abstrakte Führungskompetenz der Bewerber gegangen sei. Gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Antragsgegnerin spricht ferner, dass sie auch deutlich nach Ergehen des vorgenannten Beschlusses des Verwaltungsgerichts bei Ausschreibungen wiederholt – wenn auch als fakultatives Anforderungsprofil – Führungserfahrungen (nicht hingegen Führungskompetenzen) der Bewerber erwartete (vgl. Ausschreibung Nr. 23/2020 vom 3. April 2020 – Fachdienstleitung Steuern und Abgaben (Besoldungsgruppe A 12) – „wünschenswert sind … Führungserfahrung …“; Ausschreibung Nr. 30/2020 vom 19. Mai 2020 – Fachbereichsleitung Soziale Sicherung (Besoldungsgruppe A 14) – „mindestens zweijährige Erfahrung als Führungskraft einer größeren Organisationseinheit“; Ausschreibung Nr. 46/2020 vom 23. Juni 2020 – Fachdienstleitung Einwohnerangelegenheiten/Standesamt (Besoldungsgruppe A 12) – „wünschenswert sind … Führungserfahrung, …“; Ausschreibung Nr. 4/2021 vom 18. Januar 2021 – Fachdienstleitung Ausländer und Staatsangehörigkeiten (Besoldungsgruppe A 13) – „wünschenswert … Führungserfahrung …“; Ausschreibung Nr. 13/2021 vom 3. März 2021 – Fachdienstleistung Gebäudemanagement (Besoldungsgruppe A 12) – „wünschenswert sind … Führungserfahrung sowie Erfahrung in eigenverantwortlicher Projektarbeit“). Von daher fehlt jede plausible sachliche Begründung dafür, bei der Ausschreibung einer besonders herausgehobenen Stelle mit größerer Personalverantwortung und anspruchsvolleren Leitungsaufgaben wie beim streitgegenständlichen Dienstposten auf das Anforderungsprofil der Führungserfahrung, jedenfalls der Führungskompetenz gänzlich – nicht einmal als fakultatives Anforderungsprofil – zu verzichten. Der von der Antragsgegnerin erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens vorgelegte Vermerk über den Abbruch des mit der zweiten Stellenausschreibung begonnenen Auswahlverfahrens (mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23. August 2021 übersandte Anlage B 16) vermag eine sachliche Begründung für eine Änderung des Anforderungsprofils bei der dritten Stellenausschreibung nicht zu begründen. Dieser Vermerk ist nicht nur nicht geeignet, die bestehenden Zweifel an einer von sachlichen Erwägungen getragenen Änderung des Auswahlverfahrens auszuräumen, sondern verstärkt diese sogar. Denn dieser Vermerk lässt – im Gegensatz zu dem entsprechenden Vermerk des Fachdienstes Personal- und Organisationsberatung vom 17. April 2018 (Beiakte 4 – nicht paginiert) – weder den Verfasser und das Datum seiner Erstellung erkennen noch ist er unterzeichnet. Es lässt sich auch nicht feststellen, zu welchem Zeitpunkt der Vermerk zur Akte (enthalten in der Beiakte 5 – nicht paginiert) genommen wurde, da er keine Verfügungen enthält. Zusätzliche Zweifel begründet der Umstand, dass der nunmehr vorgelegte Vermerk – trotz seiner Bedeutung – im Gegensatz zur Handhabung des Vermerkes vom 17. April 2018 – nicht in den Geschäftsgang der Antragsgegnerin gegeben wurde, etwa zur Vorlage bei Vorgesetzten zur Kenntnisnahme oder Gegenzeichnung. Auch soweit die Beigeladene geltend macht, ihre Führungserfahrungen und Führungskompetenzen seien in den Regelbeurteilungen vom Dezember 2020 und November 2017 positiv bewertet worden und sie sei daher der Auffassung, nicht ohne Führungserfahrung zu sein und ihre Führungskompetenz sei im Einklang mit dem Personalentwicklungskonzept der Antragsgegnerin als gegeben anzusehen, vermag dieses Vorbringen die zuvor aufgezeigten durchgreifen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens nicht auszuräumen.

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

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