Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Braunschweig 1. Kammer | 1 A 130/21 | Urteil | Zulassung eines Pflanzenschutzmittels; Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora)

Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Braunschweig 1. Kammer | 1 A 130/21 | Urteil | Zulassung eines Pflanzenschutzmittels; Anwendungsbestimmung NT(neu-Ackerbegleitflora)

„Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Buchst. e iii) Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sind als Teilaspekt möglicher Auswirkungen auf die Umwelt zwar auch Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem zu berücksichtigen. Dies aber nur, „soweit es von der Behörde anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt“. Der Begriff der „Behörde“ im Sinne der Vorschrift bezieht sich auf die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Das lassen einerseits Erwägungsgrund 12 und Art. 6 Buchst. f Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 erkennen, wo der Begriff „Behörde“ jeweils der EFSA zugeordnet wird. Die Behörden der Mitgliedstaaten, denen die Wahrnehmung der in der Verordnung vorgesehenen Aufgaben obliegt, werden andererseits in der Verordnung entsprechend der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 30 als „zuständige Behörde“ bezeichnet und können dementsprechend in Art. 4 Absatz 3 Buchst. e iii) Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 nicht gemeint sein. Biologische Vielfalt bezeichnet gemäß Art. 3 Nr. 29 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, einschließlich Land-, Meeres- und sonstigen aquatischen Ökosystemen und die ökologischen Wirkungsgefüge, zu denen sie gehören; diese Variabilität kann die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme umfassen. Die Berücksichtigung von Auswirkungen auf die so zu verstehende biologische Vielfalt im Zulassungsverfahren für ein Pflanzenschutzmittel ist gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. e i. V. m. Art. 4 Abs. 3 Buchst. e iii) Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 daran gebunden, dass die EFSA anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Auswirkungen festlegt, an denen es bislang fehlt. Die zu den Unterpunkten i) bis iii) in Art. 4 Abs. 3 Buchst e der Verordnung genannten Teilaspekte des Schutzgutes der Umwelt sind vom Verordnungsgeber ausdrücklich aus dem weit zu verstehenden Begriff der Umwelt, der nach der Legaldefinition von Art. 3 Nr. 13 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 Gewässer (einschließlich Grundwasser und Oberflächengewässer, Übergangs-, Küsten- und Meeresgewässer), Sedimente, Boden, Luft, Land sowie wild lebende Arten von Pflanzen und Tieren und ihre gegenseitigen Beziehungen sowie die Beziehung zwischen ihnen und anderen lebenden Organismen umfasst, hervorgehoben und unter den Vorbehalt der Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA gestellt worden. Der ausdrückliche Wortlaut der Norm lässt insoweit ein anderes Verständnis nicht zu. Erst wenn die EFSA wissenschaftlich anerkannte Bewertungsmethoden festgelegt hat, sind die Mitgliedstaaten berechtigt, Auswirkungen auf die in Art. 4 Abs. 3 Buchst. e Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zu den Unterpunkten i) bis iii) genannten Teilaspekte bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zu untersuchen und bei unannehmbaren Auswirkungen auf diese Teilbereiche des Schutzgutes Umwelt die Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel zu versagen bzw. mit Nebenbestimmungen zu versehen, die geeignet sind, unannehmbare Auswirkungen auszuräumen. Dies gilt im zonalen Zulassungsverfahren sowohl für den berichterstattenden Mitgliedstaat als auch für beteiligte Mitgliedstaaten, die über die Erteilung einer nationalen Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel zu entscheiden haben. Zugleich folgt daraus, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, eigene Bewertungsmethoden zur Untersuchung der betroffenen Teilaspekte des Schutzgutes Umwelt zu entwickeln und anzuwenden. Sinn und Zweck des vom Verordnungsgeber ausdrücklich bestimmten Vorbehalts der Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA, der sich für Teilaspekte anderer Schutzgüter in gleicher Weise in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a und Art. 4 Abs. 3 Buchst. b Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 findet, sind unter Berücksichtigung des mit der Verordnung verfolgten Harmonisierungsbestrebens (vgl. insbesondere Erwägungsgründe 9 und 25 der Verordnung) darin zu sehen, gerade für Bereiche, deren Bewertung sich wegen einer Vielzahl einwirkender Faktoren schwierig gestaltet und verschiedenen Lösungsansätzen zugänglich ist, die Anwendung einheitlicher Bewertungsmethoden in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU zu gewährleisten.

Der vom UBA vertretenen Rechtsauffassung, indirekte Auswirkungen auf die Biodiversität sowie die Vielfalt und Abundanz von Nichtzielarten durch Nahrungsnetzeffekte könnten auch ohne die vorherige Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Berücksichtigung finden, weil sie Auswirkungen auf das Schutzgut der Umwelt im Sinne der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 13 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 darstellten, kann nicht gefolgt werden. Auch wenn das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung einer Zulassung für ein Pflanzenschutzmittel gemäß Art. 29 Abs. 1 Buchst. e i. V. m. Art. 4 Abs. 3 Buchst. e Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 voraussetzt, dass das Pflanzenschutzmittel keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt hat, wozu gemäß Art. 3 Nr. 13 der Verordnung insbesondere auch gehören wild lebende Arten von Pflanzen und Tieren und ihre gegenseitigen Beziehungen sowie die Beziehung zwischen ihnen und anderen lebenden Organismen, unterstützt dies den vom UBA vertretenen rechtlichen Standpunkt im Ergebnis nicht. Denn die zu den Unterpunkten i) bis iii) genannten Teilaspekte werden – wie bereits ausgeführt – in Art. 4 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung gerade aus dem Schutzgut Umwelt herausgehoben und an die Festlegung von anerkannten wissenschaftlichen Methoden zur Bewertung darauf bezogener Effekte durch die EFSA gebunden. Der Verordnungsgeber hat damit für die betroffenen Teilaspekte des Schutzgutes Umwelt eine spezielle Regelung getroffen, die nicht durch den Rückgriff auf die allgemeine Legaldefinition des Schutzgutes Umwelt in Art. 3 Nr. 13 der Verordnung umgangen werden kann.

In gleicher Weise sind weder das in Art. 1 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in Bezug genommene Vorsorgeprinzip noch der nach Art. 29 Abs. 1 Buchst e sowie Art. 36 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung geltende Bewertungsmaßstab des neuesten Standes von Wissenschaft und Technik geeignet, eine andere Auslegung zu rechtfertigen. Art. 29 Abs. 1 Buchst. e Verordnung (EU) Nr. 1107/2009 verdeutlicht, dass mit dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik (lediglich) der Bewertungsmaßstab angesprochen ist, nicht aber der Gegenstand der anzustellenden Bewertung. Letzterer ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm den Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 3 zu entnehmen, nach denen die Bewertung von Auswirkungen auf die Biodiversität unter der Voraussetzung der vorherigen Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA steht. Als allgemeiner Grundsatz kann auch das Vorsorgeprinzip (Art. 1 Abs. 4 der Verordnung) nur innerhalb des Bewertungsvorgangs bzw. bei der abschließenden Beurteilung des Bewertungsergebnisses zum Tragen kommen, ist aber nicht geeignet, den in der Verordnung speziell geregelten Bewertungsgegenstand zu erweitern.

Dies gilt umso mehr, als die Entstehungsgeschichte der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 die Annahme stützt, dass der Verordnungsgeber die Bewertung von Effekten auf die biologische Vielfalt bewusst an die vorherige Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA gebunden hat. So enthielt der erste Vorschlag der Kommission für die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 den Vorbehalt der vorherigen Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA für die Berücksichtigung von Auswirkungen auf die biologische Vielfalt noch nicht. Darin war vorgesehen, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben darf, und zwar unter besonderer Berücksichtigung unter anderem des Aspekts der Auswirkung auf die biologische Vielfalt (vgl. Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln vom 12.7.2006 – COM/2006/388/Final -, S. 25). Das Europäische Parlament begehrte daraufhin die Erweiterung des Teilaspekts der biologischen Vielfalt in Art. 4 Abs. 3 Buchst. e iii) des Verordnungsentwurfs um den Begriff des Ökosystems (vgl. Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 5.10.2007 – A6/2007/359 -, S. 41 zu Änderungsantrag 64, sowie Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 23.10.2007 – TC1-COD[2006]0136 -, S. 29). Der gemeinsame Standpunkt des Rates vom 15. September 2008 berücksichtigte diesen Änderungsantrag nicht, sondern hielt an der ursprünglichen Formulierung fest (vgl. ABl. C 266 E S. 9). Das Europäische Parlament verfolgte sein Begehren weiter, indem es den Änderungsantrag 64 als Änderungsantrag 45 erneut einbrachte (vgl. Bericht des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 12.11.2008 – A6/2008/444 -, S. 32 f.). Der Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 13. Januar 2009 (TC2-COD[2006]0136, S. 32), dessen Änderungen am Text der Verordnung von der Kommission (vgl. Stellungnahme vom 30.3.2009 – COM/2009/145/Final -) und vom Rat in zweiter Lesung am 24. September 2009 angenommen worden sind, enthält dann die vom Europäischen Parlament gewünschte Ergänzung der biologischen Vielfalt um das Ökosystem zu Unterpunkt iii) von Art. 4 Abs. 3 Buchst e der Verordnung, lässt die Berücksichtigung der Teilaspekte zu den Unterpunkten i) bis iii) aber nunmehr nur noch zu, „soweit es von der Behörde anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung solcher Effekte gibt“. Bei dem konsolidierten Text handelt es sich entsprechend der Stellungnahme der Kommission vom 30. März 2009 (COM/2009/145/Final, S. 3) um das Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem Rat, dem Europäischen Parlament und der Kommission. Die Entstehungsgeschichte der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 verdeutlicht damit, dass der Vorbehalt der Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA gezielt in die Bestimmung des Art. 4 Abs. 3 Buchst. e aufgenommen wurde, um eine Einigung zwischen dem Rat, dem Europäischen Parlament und der Kommission herstellen zu können. Eine Umgehung des speziellen Vorbehalts von der EFSA anerkannter wissenschaftlicher Bewertungsmethoden durch den Rückgriff auf andere Prinzipien und Bestimmungen der Verordnung würde damit nicht nur dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung, sondern auch dem Willen des Verordnungsgebers widersprechen.

Soweit das UBA der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (ABl. L 155 S. 1) Hinweise darauf zu entnehmen meint, dass Auswirkungen eines Pflanzenschutzmittels auf die biologische Vielfalt dennoch von den Mitgliedstaaten auch ohne Bewertungsmethoden der EFSA berücksichtigt werden müssten, weil dort ausgeführt ist, die Mitgliedstaaten hätten darauf zu achten, dass die Verwendung der Pflanzenschutzmittel keine langfristigen Auswirkungen auf den Bestand und die Vielfalt der nicht zu den Zielgruppen gehörenden Arten hat (vgl. Anhang der Verordnung, Teil I, Abschnitt C, Ziff. 1.5; vgl. dazu auch: Klinger/Borwieck/Douhaire, Rechtsgutachten zum Schutz von terrestrischen Nichtzielarten einschließlich der biologischen Vielfalt vor den Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln vom November 2017, S. 20), ist zu beachten, dass es sich um eine Durchführungsverordnung der Kommission handelt, die nicht geeignet ist, die grundlegende Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zu ändern oder ihr einen anderen Inhalt zu geben. Gleiches gilt für die Durchführungsverordnung (EU) 2017/2324 der Kommission vom 12. Dezember 2017 zur Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat (ABl. L 333 S. 10), soweit den Mitgliedstaaten in Anhang I aufgetragen wird, bei der Gesamtbewertung von Anwendungen als Herbizid unter anderem insbesondere die Bedrohung der Vielfalt und Abundanz von Nichtziel-Landarthropoden und -Landwirbeltieren durch trophische Wechselwirkungen zu beachten und gegebenenfalls Maßnahmen zur Risikobegrenzung in Gestalt von Anwendungsbedingungen festzulegen.

Erst recht vermag der Bericht der Europäischen Kommission vom 31. Oktober 2016 über ein Audit in Deutschland vom 29. Februar bis 4. März 2016 und die Bewertung des Systems für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln (DG [Sante] 2016-8780 – MR), auf den sich das UBA zur Bestätigung seiner Rechtsauffassung ebenfalls bezieht, der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 einen anderen Gehalt nicht zu geben, denn es handelt sich bei diesem Auditbericht noch nicht einmal um eine Rechtsnorm.

Die Kammer verkennt nicht, dass es berechtigte sachliche Gründe geben mag, welche die Bewertung und Berücksichtigung indirekter Effekte der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf die Biodiversität in Gestalt negativer Auswirkungen auf Nahrungsnetze im Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel dringend geboten erscheinen lassen. Die Entwicklung einer eigenen Methode zur Bewertung von Auswirkungen auf die Biodiversität durch das UBA ist zur Überzeugung der Kammer deshalb keineswegs als allein „politisch motiviert“ anzusehen, wie dies teilweise als Kritik geäußert wird. Vielmehr hält die Kammer dem UBA zugute, dass es ihm aus sachlichen Erwägungen nicht länger hinnehmbar erscheint, auf die Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA zu warten. Der vom europäischen Verordnungsgeber ausdrücklich geregelte Vorbehalt der vorherigen Festlegung von Bewertungsmethoden durch die EFSA steht aber gegenwärtig aus Rechtsgründen der Berücksichtigung von Auswirkungen auf die Biodiversität bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln entgegen.

Gehören Auswirkungen auf die biologische Vielfalt damit derzeit nicht zum zulässigen Prüfumfang bei der Beurteilung der Zulassungsfähigkeit eines Pflanzenschutzmittels, können sie auch nicht die Erteilung von Nebenbestimmungen, wie den in Rede stehenden Anwendungsbestimmungen, rechtfertigen, deren Notwendigkeit das UBA damit begründet, dass nur durch sie die Einhaltung der Zulassungsvoraussetzungen für das Pflanzenschutzmittel gewährleistet werden könne. Weil von der EFSA anerkannte Methoden für die Bewertung von Auswirkungen auf die biologische Vielfalt fehlen, kann auch nicht mit einem den Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 1107/2009 genügenden Ansatz festgestellt werden, dass das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel negative oder gar unannehmbare Auswirkungen auf die Biodiversität hätte und seine Zulassung deshalb nur bei Festlegung von Risikominderungsmaßnahmen zulässig wäre.“

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

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