Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Hannover 12. Kammer | 12 A 2491/18 | Urteil | Naturschutzrechtliche Wiederherstellungsanordnung; Beseitigung von Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen

Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Hannover 12. Kammer | 12 A 2491/18 | Urteil | Naturschutzrechtliche Wiederherstellungsanordnung; Beseitigung von Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen

Am 3. April 2018, dem Dienstag nach Ostermontag, hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, er habe im Hinblick auf die beabsichtigte Beseitigung telefonisch bei dem Beklagten, bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen sowie bei der involvierten Flurbereinigungsbehörde angefragt, ob seinem Vorhaben rechtliche Bedenken entgegenstehen könnten. Aus dem Hause des Beklagten sei ihm mitgeteilt worden, dass es sich bei der vorbezeichneten Hecke nicht um einen geschützten Landschaftsbestandteil handele und diese nicht im Wallheckenverzeichnis eingetragen sei. Eine Baumschutzverordnung sei nicht vorhanden, so dass lediglich die Brut- und Setzzeiten zu beachten seien. Weder der Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer noch der der Flurbereinigungsbehörde hätten Bedenken geäußert. Die von ihm zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte Neupflanzung der Hecke auf demselben Grundstück entlang der Bundesstraße, die zu einer Verlängerung um 50% geführt habe, sei begrüßt worden. Eine Erledigung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts sei nicht eingetreten, weil dieser weiterhin den Rechtsgrund für den Vollzug der Verfügung darstelle. Die angeordneten Ersatzpflanzungen könnten jederzeit rückgängig gemacht werden. Für den Fall der Annahme einer Erledigung bestünde jedoch ein Fortsetzungsfeststellunginteresse. Weder die Voraussetzungen der von dem Beklagten genannten Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 2 BNatSchG i. V. m. § 2 Abs. 2 NAGBNatSchG noch der Vorschrift des § 17 Abs. 8 BNatschG seien erfüllt. Er habe keine wild lebenden Pflanzen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 2 BNatschG entfernt; sowohl bei den Bäumen als auch bei der Hecke handele es sich um kultivierte Pflanzen, die seinerzeit von seinem Rechtsvorgänger zum Zwecke einer „Ernte“ gepflanzt worden seien. Viele Eichenwälder in Deutschland seien anthropogenen Ursprungs. Die drei entfernten Eichen auf dem Flurstück J. hätten, wenngleich mit größeren Lücken, auf einer gedachten Linie entlang früherer Grundstücksgrenzen – zwischen Acker und Grünland – gestanden und ein separates Mittelstück zwischen zwei noch bestehenden Eichenreihen mit gleichmäßigen, streng in Reihe stehenden Pflanzabständen gebildet. Bei einer natürlichen Verbreitung von Pflanzen würden sich diese nicht in strengen Linien oder mit gleichmäßigen Abständen aussäen. Anhaltspunkte dafür, dass die Eichen im Rahmen einer Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahme gepflanzt oder sonst sich selbst überlassen worden seien, seien nicht ersichtlich oder vom Beklagten ermittelt worden. Die drei Eichen seien – ebenso wie die übrigen Eichen in den nahgelegenen Baumreihen – durch regelmäßig erfolgte Pflegeschnitte als Jungbaum in einen schlanken, geraden Wuchs zur Ausbildung eines dicken, gut verwertbaren Stammes mit ausschließlich hohen Astgabelungen gezwungen worden. (Unwetter-)Schäden seien fachmännisch beseitigt worden, um einem Hohlwerden oder Absterben vorzubeugen. Die Kultivierung der Eichen sei seit ihrer Pflanzung zu keiner Zeit aufgegeben worden. Dies werde anhand von Lichtbildern anderer Eichen in seinem Eigentum deutlich, die diverse Schnittflächen und einen gerade aufgewachsenen Stammkörper sowie kein Totholz oder Sturmschäden aufwiesen. Dem könne das Alter der Bäume nicht entgegengehalten werden. Es mache für einen vernünftig denkenden Landwirt keinen Sinn, etwas zu ernten, was noch nicht reif sei. Entsprechendes gelte in Bezug auf die Hecke und den am Ende dieser Hecke gelegenen Einzelbaum. Diese habe in der Flucht zum ehemaligen Haus- und Wirtschaftsgarten gelegen und sei regelmäßig – alle paar Jahre – zurückgeschnitten und gepflegt worden. Auch insofern werde auf Lichtbilder einer „Vergleichshecke“ verwiesen sowie auf eine Rechnung über einen Hecken- und Astschnitt aus dem Jahr 2010. Belege darüber, welcher seiner Rechtsvorgänger die Hecke in welchem Jahr genau gepflanzt habe, könnten nicht mehr beigebracht werden. Es liege jedoch auf der Hand, dass sich eine homogene Weißdornhecke nicht von alleine aussäe. Überwiegend seien die Pflegemaßnahmen/Heckenschnitte ohnehin durch ihn persönlich unter Mithilfe von Familienmitgliedern durchführt worden. Nur selten sei ein Lohnunternehmer mit größerem Gerät zur Hilfe genommen worden. Die Eichen hätten nach ihrer langjährigen Kultivierungszeit dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb dienen sollen. Er habe das Holz seinem bestimmungsgemäßen Zweck, nämlich dem Zaunbau und der Verwendung als Brennholz, zugeführt. Es habe sich auch nicht um Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatschG gehandelt. Dass es sich um einen Lebensraum handele, sei nicht ausreichend. Das Gesetz unterscheide zwischen der konkreten Lebensstätte (§ 7 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG) und dem allgemeinen Lebensraum (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG). Die Veränderung eines Lebensraumes durch die Entnahme eines Baumes oder die „Umsetzung“ einer Hecke könne nicht pauschal als Beeinträchtigung oder Zerstörung einer konkreten Lebensstätte gewertet werden. Es müssten mindestens Anhaltspunkte dafür vorliegen, wessen Lebensstätte genau tangiert sein solle. Hieran habe es nach einer genauen Untersuchung durch einen Baum-Sachverständigen gefehlt. Gelte der Lebensstättenschutz nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG für sämtliche Bäume und Hecken, wäre die zeitlich eingegrenzte Schutzbestimmung nach § 39 Abs. 5 BNatSchG etwa für freistehende Bäume und Hecken von vornherein überflüssig. Im Ergebnis würde die Ansicht des Beklagten eine absolute Veränderungssperre bezüglich aller Bäume und Hecken bedeuten. Veränderungen an alten Bäumen und Hecken in Gärten würden vom Beklagten nicht geahndet. Hierin liege eine Ungleichbehandlung der Landwirte. § 17 Abs. 8 BNatschG sei nicht einschlägig, weil kein Eingriff im Sinne der §§ 14, 15 BNatschG vorliege. Der niedersächsische Landesgesetzgeber habe durch § 5 NAGBNatSchG zum Ausdruck gebracht, von der allgemeinen Eingriffsregelung abweichen und nur Verstöße gegen konkrete Verbotsnormen des BNatSchG ahnden zu wollen. Auch eine erhebliche Beeinträchtigung von Natur und Landschaft gemäß § 13 BNatSchG sei nicht gegeben. § 14 Abs. 1 BNatSchG definiere und konkretisiere, wann eine erhebliche Beeinträchtigung von Natur und Landschaft vorliege. Als Landwirt unterfalle er dem sog. Landwirtschaftsprivileg. Die Rechtsprechung lege dieses zu eng aus, wenn sie annehme, dass eine Veränderung der Landschaft, die eine landwirtschaftliche Nutzung erst ermöglichen oder effektiver gestalten solle, nicht hierunter falle, sondern nur die tägliche Wirtschaftsweise des Landwirts durch diese Bestimmung von naturschutzrechtlichen Anordnungen freigestellt und mittelbare Nutzungen nicht erfasst würden. Schon der Gesetzgeber habe den Wortlaut der Bodennutzung und die Tatbestandsmerkmale „Veränderung der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen“ „unstringent“ in die Voraussetzungen des „Agrarprivilegs“ hineininterpretiert. Aus heutiger Sicht sei der Schwerpunkt auf den Begriff der „guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft“ zu legen. Diesbezüglich habe der Bundesgesetzgeber auf die fachgesetzlichen Regelungen (Pflanzenschutzgesetz, Düngemittelgesetz) und das dazugehörige fachliche Regelwerk (z.B. Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, Düngeverordnung) verwiesen. Der niedersächsische Gesetzgeber habe es seinerseits in § 2 Abs. 1 Satz 2 LwKG der Landwirtschaftskammer übertragen, die Wirtschaftsberatung unter besonderer Berücksichtigung der guten fachlichen Praxis durchzuführen und zur Verbesserung der Betriebsergebnisse beizutragen, zum Beispiel durch die Erstellung von Leitlinien. Auf diese Leitlinien käme es maßgeblich hinsichtlich der Frage des Vorliegens einer guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft an. Es könne hingegen nicht darauf ankommen, wie in früheren Zeiten der Gesetzwortlaut „Bodennutzung“ definiert worden sei. Vielmehr sei der Begriff der „Bodennutzung“ nur als Hinweis auf die landwirtschaftliche Urproduktion zu verstehen, hierunter falle auch die Umsetzung einer Hecke und die Gewinnung des Rohstoffs Holz. An diese gute fachliche Praxis habe er sich gehalten. Es müsse einem vernünftig denkenden Landwirt unbenommen bleiben, auch Veränderungen an Landschaftselementen vorzunehmen und diese an die aktuellen sowie zu erwartenden Begebenheiten und Umweltveränderungen auf seinen Nutzflächen nach eigenem Ermessen anzupassen. Da eine Anpassung in diesem Fall auch mit hohem wirtschaftlichen Einsatz und Pflanzkosten sowie erhöhtem Pflegeaufwand verbunden gewesen sei, und diese für ihn in einem Kosten- und Nutzenausgleich stehen müssten, müsse es ihm unbenommen bleiben, sich nicht nur für eine Neuanpflanzung zu entscheiden, sondern in diesem Zuge, die spätere Pflege für ihn erleichternd und begrenzend, auch den Altbestand im Sinne einer Umsetzung zu entfernen. Bei der „Ernte“ der Bäume habe es sich nicht um land-, sondern um forstwirtschaftliche Nutzung gehandelt. Aus der Formulierung in § 5 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG „bei der forstlichen Nutzung des Waldes“ folge, dass der Gesetzgeber auch eine forstliche Nutzung außerhalb der Wälder gesehen habe, an diese aber keine besonderen Verhaltensdirektiven gestellt habe. Auch in der Bundestagsdrucksache 13/6441 vom 5. Dezember 1996 zum BNatSchG werde „Holzeinschlag“ exemplarisch als Handlungsweise aufgeführt, die nicht dem Eingriffsbegriff unterfiele. § 5 Abs. 1 BNatSchG mache deutlich, dass eine Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Einzelnen und den Interessen von Naturschutz und Landschaftspflege zu treffen sei. Nur wenn eine solche Abwägung zu seinen Gunsten ausfalle, habe die Reetablierung von Agro-Forstsystemen in Deutschland und Europa eine Chance. Er habe zudem nicht wahllos abgeholzt, sondern habe mit Bedacht „reife“ Stämme ausgewählt mit einem gewissen Mindestdurchmesser und einer gewissen Mindestqualität. Totholz lasse sich nicht mehr weiterverarbeiten. Außerdem habe er nur so viele Bäume gefällt, wie er für sein Vorhaben benötigt und Abtrocknungsfläche zur Verfügung gehabt habe. Die Annahme des Beklagten, dass die Beseitigung der Entfernung von Bewirtschaftungshindernissen diene, entbehre tatsächlicher Anhaltspunkte. Er werde mit dieser Annahme als Umweltsünder stigmatisiert. Anhand der Satellitenbilder werde ersichtlich, dass er durch die Wegnahme der Bäume und die „Umsetzung“ der Hecke keinen die Bewirtschaftung der Grundfläche erleichternden Vorteil wie etwa eine Rationalisierung von Fahrwegen oder einen signifikanten Rückgewinn von landwirtschaftlich nutzbarer Produktions- bzw. Grundfläche gewonnen habe. Er habe die Hecke „umgesetzt“ und sogar verlängert. Ihre „Umsetzung“ diene einer Verlegung von Wildquerungen, dem Schutz vor Winderosionen und Staubbelästigung auf der Straße während Ernte- oder Pflegemaßnahmen sowie dem Schutz der Anwohner vor Straßenlärm und nächtlichem Scheinwerferlicht. Die Situation habe sich hinsichtlich des Hecken-Pflanzenbestandes somit quantitativ und qualitativ verbessert, für einen Eingriff fehle es an einer Beseitigung bzw. einer erheblichen Beeinträchtigung. Im Übrigen werde die „Umsetzung“ der guten fachlichen Praxis gerecht. Letzteres gelte auch hinsichtlich der Eichen. Die Verwendung des Eichenholzes für den Zaunbau sei unter ökologischen wie betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob die Bagatellgrenze des Eingriffsbegriffs überschritten werde. Eine erhebliche Beeinträchtigung könne jedenfalls nicht allein anhand des Stammdurchmessers begründet werden. Außerdem erscheine aufgrund einer Kulisse von diversen Eichen-Baumreihen und Einzelbäumen ähnlichen und jüngeren Alters auch eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes fraglich. Die sog. Positivliste in § 5 NAGBNatSchG n.F. könne dem Beklagten rückwirkend keine Ermächtigungsgrundlage bieten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum für einen älteren Baum drei junge Bäume gepflanzt werden müssten. Der von dem Beklagten gewählte Standort für die Ersatzpflanzungen sei bedenklich. Er erweise sich für das Anwachsen als problematisch. Sein Angebot, die Lücken in den umliegenden Baumreihen zu bepflanzen, sei von den Mitarbeitern des Beklagten abgelehnt worden.

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

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