Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Oldenburg (Oldenburg) 6. Kammer | 6 B 2087/03 | Beschluss | Entlassung gem. § 55 Abs. 5 SG

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VG Oldenburg (Oldenburg) 6. Kammer,
Beschluss vom
01.07.2003, 6 B 2087/03, ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0701.6B2087.03.0A

§ 55 Abs 5 SG

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers gegen die Entlassungsverfügung der Stammdienststelle der Marine vom 10. Juni 2003 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

I. Der Antragsteller wendet sich gegen seine fristlose Entlassung aus dem Dienst der Bundeswehr.

2

Der im … 19.. geborene Antragsteller hat nach dem Schulbesuch, den er mit dem erweiterten Abschluss der Sekundarstufe I abschloss, erfolgreich eine Lehre zum Kraftfahrzeugmechaniker absolviert. Anschließend war er als Metall- und Bauschlosser berufstätig. Zum 1. Oktober 1999 wurde er als Grundwehrdienstleistender zur Bundeswehr einberufen und ab dem 1. Juni 2000 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit übernommen, wobei als Dienstzeitende (Verpflichtungszeit 4 Jahre) der 30. September 2003 bestimmt wurde. Zuletzt wurde er mit Wirkung vom 1. April 2002 zum Obermaat befördert und ihm wurden Bezüge nach der Bes.Gr. A 6 BBesO gewährt. Er versieht – mit Unterbrechungen – seit Anfang April 2001 Dienst auf der Fregatte …, deren Heimathafen … ist.

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Am Freitag, den 23. Mai 2003, lag das Schiff im Hafen von …, Niederlande, und es kam mit dem Antragsteller, der bislang disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, zu folgendem Vorfall: Im Hangar des Schiffs fand ein Tauziehen zwischen den Soldaten der HA 100 und HA 200 statt. Anschließend wurde von einem Teil der Soldaten in der Unteroffiziersmesse gemeinsam Bier getrunken, wobei der Antragsteller später angab, etwa 10 Flaschen Bier getrunken zu haben. Dabei soll es in der Unteroffiziersmesse bereits früher häufiger vorgekommen sein, dass derjenige Unteroffizier, der in der Messe einschläft, von anderen im Gesicht mit einem Filzschreiber mit Strichen bemalt wird. Etwa gegen 19.00 Uhr begab sich der Antragsteller zusammen mit dem Maat Z. in das Schlafdeck X. Sie wollten dort in einer unteren Koje den Obermaat Y wecken und zum weiteren Umtrunk in die Unteroffiziersmesse holen. Dieser ließ sich aber nicht wecken, vielmehr wurde dadurch der in der darüber liegenden Koje schlafende Obermaat A. geweckt, der seine Ruhe haben wollte. Daraufhin beschlossen der Antragsteller und der Maat Z., den Obermaat A. mit dem Filzschreiber anzumalen. Sie rissen seinen Kojenvorhang zur Seite, der Maat Z. hielt den auf dem Bauch liegenden Obermaat A. in der engen Koje mit Armen und Beinen so fest, dass er sich nicht bewegen konnte, und trotz seiner Versuche von Gegenwehr und heftigen Protesten malte der Antragsteller ihn mit dem Filzschreiber im Gesicht (Stirn, Wangen, Nasenlöcher und Augenlider u.a.), im Nacken und an den Armen an. Der Vorgang dauerte etwa 10 Minuten, danach ließen sie von dem Obermaat A. ab. Der Antragsteller und der Maat Z. begaben sich auf den Gang, wo sie sich gegenüber einem hinzukommenden Soldaten gegenüber sich mit ihrer Aktion brüsteten. Der Antragsteller und der Maat Z. begaben sich daraufhin wieder in die Unteroffiziersmesse, wo sie weiter Bier tranken und sich später gegenseitig ebenfalls mit einem im Dienst verwandten Filzschreiber anmalten. Der von ihnen in der Koje bemalte Obermaat A. begab sich nach dem Vorfall in den Waschraum, wo er nach ca. 15 Minuten die Spuren seiner Bemalung beseitigt hatte.

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Nachdem es zwischen dem Antragsteller und dem Obermaat A. später wohl nicht zu einem Gespräch gekommen war, beschwerte sich dieser schriftlich am 26. Mai 2003 über das Verhalten des Antragstellers. Offiziere der Fregatte ermittelten daraufhin durch Befragungen den Vorfall und auf Veranlassung der Leitung des Schiffs wurde der Antragsteller mit Bescheid der Stammdienststelle der Marine vom 10. Juni 2003, ihm ausgehändigt am 11. Juni 2003, mit Ablauf des 13. Juni 2003 entlassen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller in verschiedener Hinsicht seine Dienstpflichten verletzt habe, insbesondere gegen grundlegende Pflichten und Werte des kameradschaftlichen Zusammenlebens und achtungswürdigen Verhaltens in der Bundeswehr im Allgemeinen und an Bord von seegehenden Einheiten im Besonderen. Daher würde sein Verbleib in der Bundeswehr die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ernstlich gefährden. Bei anderen Soldaten könnte der Eindruck entstehen, dass ein derartiger Vorfall ohne Gefahr für das Dienstverhältnis möglich sei und dass derartige Disziplinlosigkeiten eines Soldaten auf Zeit geduldet würden. Mit Bescheid vom 11. Juni 2003 – dem Antragsteller am gleichen Tage ausgehändigt – stellte der 1. Offizier der Fregatte fest, dass der Antragsteller im Hinblick auf diesen Vorgang ein Dienstvergehen begangen habe. Jedoch wurde in Anbetracht der Entscheidung der Stammdienststelle, den Antragsteller fristlos zu entlassen, von der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen dieses Dienstvergehens abgesehen.

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Am 12. Juni 2003 legte der Antragsteller gegen die Entlassungsverfügung Beschwerde ein und wandte sich zugleich an das Verwaltungsgericht mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Ernsthaftigkeit der Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr hinsichtlich des weiteren Verbleibs des Antragstellers in den Streitkräften nicht gegeben sei. Vielmehr handele es sich um einen derben, unangemessenen Spaß, bei dem sich der Antragsteller auch beim geschädigten Obermaat A. entschuldigt habe, was dieser ausweislich seiner Erklärung vom 10. Juni 2003 auch akzeptiert habe.

6

Nachdem die Kammer im Wege eines sog. Hängebeschlusses am 13. Juni 2003 einstweilen die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bis zur Entscheidung der Kammer über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes angeordnet hatte, wurde dieser Beschluss auf die Beschwerde der Antragsgegnerin mit Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2003 (Az: 5 ME 216/03) aufgehoben.

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Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und macht geltend, dass der Antragsteller mit seinem Dienstvergehen die Achtung und das Vertrauen seiner Vorgesetzten und Kameraden in seine Person unheilbar zerstört habe. Denn seine militärischen Vorgesetzten könnten sich nun nicht mehr auf die Zuverlässigkeit und Integrität des Antragstellers verlassen. Auch würde ein Absehen von der Entlassung bei anderen Soldaten der Einheit den Eindruck erwecken, solche körperlichen Misshandlungen würden in der Marine als sozial adäquates Verhalten hingenommen werden. Ob der geschädigte Obermaat A. später die Entschuldigung des Antragstellers angenommen habe, sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Dass der Antragsteller nun seiner Berufsförderung zum Abschluss seiner Verpflichtungszeit verlustig gehe, habe er dem eigenen Verhalten zuzuschreiben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

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II. Der zulässige Antrag hat Erfolg.

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Grundsätzlich haben gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Eingriffsverfügungen aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, und nach Satz 2 der Regelung eine gegebenenfalls vorgenommene Vollziehung der Entscheidung aufheben, auch wenn von Gesetzes wegen entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch ein Bundesgesetz die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in einer grundsätzlichen Wertung – wie hier durch § 3 Abs. 1 der Wehrbeschwerdeordnung – WBO – ausgeschlossen wurde. Die dabei vom Gericht zu treffende Entscheidung orientiert sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an der – gesetzlich angeordneten – sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich sind. Dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist deshalb in der Regel zu entsprechen, wenn sich die angefochtene belastende Verfügung bei überschlägiger Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Demgegenüber kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dann nicht zum Tragen, wenn die Entlassungsverfügung zu rechtlichen Beanstandungen erkennbar keinen Anlass gibt, so dass der Rechtsbehelf abweisungsreif ist. Diese Interessenabwägung geht im vorliegenden Falle zu Lasten der Antragsgegnerin aus, denn trotz des gesetzlich angeordneten besonderen Vollzugsinteresses ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung durchgreifenden Bedenken begegnet.

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Rechtsgrundlage für die Entlassung des Antragstellers ist § 55 Abs. 5 Soldatengesetz – SG – in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 14. Februar 2001 (BGBl. I S. 232, 478) zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.August 2002 (Bd. I S.3322).Nach dieser Vorschrift kann ein Soldat auf Zeit während der ersten 4 Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Ob diese zuletzt genannten tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Entlassung als Grundlage für die Ermessensentscheidung vorliegen, ist verwaltungsgerichtlich uneingeschränkt zu überprüfen; der für die Entlassung zuständigen Stelle ist auch insbesondere kein Beurteilungsspielraum eingeräumt, ob eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr gegeben ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 1980, BVerwGE 59, 361).

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Hintergrund der gesetzlichen Regelung ist, dass die Rechtsstellung eines Soldaten auf Zeit in den ersten 4 Dienstjahren noch nicht so gefestigt ist, dass der Soldat nur unter den besonderen materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der WDO aus dem Dienstverhältnis entfernt werden könnte. Nach der Vorschrift kann ein Soldat auf Zeit vor allem verfahrensmäßig unter erleichterten Bedingungen fristlos entlassen werden. Die Vorschrift dient allein dem Schutz der Bundeswehr vor künftigem Schaden. Der Zweck der fristlosen Entlassung ist daher nicht die disziplinare Sanktion des Fehlverhaltens eines betroffenen Soldaten, sondern die Abwendung einer drohenden ernstlichen Gefahr für die Bundeswehr, wobei sich die Gefahr allerdings als Auswirkung der Dienstpflichtverletzung des Soldaten darstellen muss. Hieraus folgt, dass die fristlose Entlassung neben einer einfachen Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann, da beide Entscheidungen Maßnahmen mit unterschiedlicher Zielsetzung sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 1994, BVerwGE 103, 60). Erfordert mithin das Verhalten eines Soldaten eine unmittelbar anschließende disziplinarrechtliche Reaktion, um dem Soldaten selbst und (auch generalpräventiv) seinen Kameraden sofort und unmissverständlich deutlich zu machen, dass solche Verhaltensweisen nicht geduldet werden und disziplinarrechtliche Folgen nach sich ziehen, verstößt die Anwendung beider Maßnahmen nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, denn sie dienen unterschiedlichen Gesetzeszwecken und jede ist für sich als notwendiges und geeignetes Mittel anzusehen (vgl. Urteil der Kammer vom 10. Mai 2000 – 6 A 1971/98 – NZWehrr 2000, 215). Ist die nach § 55 Abs. 5 SG gebotene Entlassung keine Disziplinarmaßnahme, sondern kann zu einer bereits verhängten Disziplinarmaßnahme hinzutreten, so ist im Rahmen der Prüfung einer Entlassungsverfügung kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen Verfehlung angemessen ist und ob der betreffende Soldat auf Zeit im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar oder charakterlich ungeeignet ist. Demgegenüber kann jedoch im Rahmen der Prüfung, ob eine ernstliche Gefahr für militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr besteht, zu berücksichtigen sein, ob dieser Gefahr auch durch eine Disziplinarmaßnahme als ein notwendiges, aber auch milderes Mittel begegnet werden kann mit der Folge, dass Schaden für die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr nicht zu befürchten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 1983, NJW 1984, 938, 939; Urteil vom 24. September 1992, BVerwGE 91, 62, 64). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Kammer der Ansicht, dass das Verbleiben des Antragstellers im Dienst die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr nicht ernstlich gefährdet.

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Bei der Bestimmung des Begriffs der militärischen Ordnung ist vom Verteidigungszweck der Bundeswehr auszugehen. Zur militärischen Ordnung gehört alles, was erforderlich ist, um die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen zu erhalten, wobei es nicht genügt, wenn lediglich Randbereiche des Militärischen berührt werden. Eine ernstliche Gefährdung der so verstandenen militärischen Ordnung durch das Verbleiben eines Soldaten, der seine Dienstpflichten verletzt hat, im Dienst, kann sich aus der begründeten Befürchtung ergeben, dass es zu weiteren vergleichbaren Dienstpflichtverletzungen kommen werde (Wiederholungsgefahr). Die Gefahr kann sich aber auch daraus ergeben, dass es sich bei der einzelnen Dienstpflichtverletzung um das typische Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zu Disziplinlosigkeiten handelt, so dass ein Anlass zu ähnlichem Verhalten für andere Soldaten gegeben wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1983, NJW 1984, 938 m.w.N.). Daraus folgt, dass nicht jede Dienstpflichtverletzung die Möglichkeit einer fristlosen Entlassung eröffnet. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu erwägen, ob einer eventuellen Gefährdung durch andere Maßnahmen begegnet werden kann. Wenn § 55 Abs. 5 SG eine „ernstliche“ Gefährdung voraussetzt, konkretisiert das Gesetz an dieser Stelle den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992, NVwZ-RR 1993, 501).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Kammer der Überzeugung, dass das Verbleiben des Antragstellers im Dienst die militärische Ordnung der Bundeswehr nicht ernstlich gefährdet. Eine auf seine Person bezogene Wiederholungsgefahr scheint nicht gegeben. Denn der Soldat, der nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin und den vorliegenden früheren Beurteilungen sowie dem Dienstzeugnis vom 13. Juli 2003 sich militärisch einwandfrei geführt hat, dürfte durch die eingeleiteten Maßnahmen so geläutert worden sein, dass er in Zukunft ein ähnliches Verhalten nicht wieder an den Tag legen wird. Auch ist der Vorfall vom 23. Mai 2003 nicht ohne weiteres als schwerwiegende Dienstpflichtverletzung zu bezeichnen. Es handelte sich um innerhalb der Freizeit der betreffenden Soldaten liegende Vorfälle, die noch als derbe Späße unter Seeleuten bezeichnet werden mögen, weil sie unter gleichrangigen Soldaten stattfanden und keine weitergehenden Folgen psychischer oder körperlicher Art für den davon Betroffenen hatten. Denn der Obermaat A. konnte nach kurzer Zeit die Bemalungen wieder abwaschen und ihm ist Genugtuung durch die Entschuldigung des Antragstellers und seine sofortige Entfernung von Bord widerfahren. Damit ist also die Vorbildfunktion des Antragstellers als Soldat auf Zeit gegenüber Soldaten niederen Ranges durch den Vorfall nicht in Frage gestellt. Hinzu kommt, dass der betreffende Obermaat die Entschuldigung des Antragstellers nunmehr akzeptiert hat, so dass auch nicht mehr die Gefahr gegeben erscheint, bei den Soldaten könnte sich der Eindruck ergeben, typischerweise dürften bei der Marine derartige Späße gleichsam folgenlos vorgenommen werden. Für die Kammer ergibt sich vielmehr der Eindruck, dass der Dienstpflichtverletzung des Antragstellers auch ohne weiteres durch eine Disziplinarmaßnahme als milderes Mittel begegnet werden könnte, als die sofortige Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst. Hinzu kommt, dass seitens der Dienstvorgesetzten offensichtlich das zuvor stattgefundene Tauziehen und der anschließende Alkoholgenuss in der Unteroffiziersmesse zumindest billigend hingenommen wurde. Wenn derartige Anlässe auf Schiffen – durchaus mit guten Gründen – von der Schiffsführung gesetzt werden, so können nicht ohne weiteres negative Folgen, die sich aus solchen Anlässen typischerweise ergeben können, mit der fristlosen Entlassung aus dem Dienst geahndet werden. Eine möglicherweise aus dem Dienstvergehen zu schlussfolgernde mangelnde charakterliche Eignung des Antragstellers für den Beruf eines Soldaten auf Zeit kann demgegenüber nicht dazu führen, eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung der Bundeswehr zu bejahen.

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Auch wäre durch das Verbleiben des Antragstellers in seinem Dienstverhältnis das Ansehen der Bundeswehr nicht ernstlich gefährdet. Bei einer Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr geht es um den guten Ruf der Streitkräfte oder einzelner Truppenteile bei Außenstehenden vor allem in der Öffentlichkeit, aus der Sicht eines den jeweiligen Lebensverhältnissen gegenüber aufgeschlossenen, objektiv wertenden Betrachters (vgl. Scherer/Alff, Kommentar zum SG, 7. Aufl. 2003, § 55 Rdn. 22). Dabei wird das Ansehen der Bundeswehr ganz wesentlich getragen von ihrer Teilhabe an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dem Vertrauen darauf, dass sie sich den Werten des Grundgesetzes verpflichtet weiß. Von daher kann eine entwürdigende Behandlung anderer Soldaten auch dieses Tatbestandsmerkmal betreffen. Der Antragsteller ist als Marinesoldat Teil der Mannschaft eines Schiffes. Das Zusammenleben auf einem Schiff bringt es mit sich, dass die Soldaten sich auch in der Freizeit kaum zurückziehen können. Gemeinschaftserlebnis und Gemeinschaftsgefühl sind zwangsläufig für die auf engstem Raum zusammenlebenden Soldaten ein Wert an sich. Daher erwartet die Öffentlichkeit, dass es auch in diesem Bereich nicht zu Disziplinlosigkeiten kommt. Andererseits geht die Öffentlichkeit auch für diesen Bereich durchaus davon aus, dass an Bord von seegehenden Schiffen derbe Späße vorgenommen werden. Auch bezüglich des Tatbestandsmerkmals des Ansehens der Bundeswehr kann die Wirkung einer möglichen Disziplinarmaßnahme dann nicht außer Acht gelassen werden, wenn die betreffende Dienstpflichtverletzung ohne Wiederholungsgefahr und auch nicht Teilstück einer als beim Soldaten allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zur Disziplinlosigkeit ist. Hinzu kommt, dass dann das Ansehen der Bundeswehr um so weniger betroffen ist, wenn der Vorfall in der Öffentlichkeit erst dann bekannt wird, wenn zugleich die Folgen dieses Verhaltens für den betreffenden Soldaten ebenso bekannt sind. Im vorliegenden Falle ist der Antragsteller sofort des Schiffes verwiesen worden und von einer Disziplinarmaßnahme wurde nur deshalb abgesehen, weil die sofortige Entlassung verfügt wurde. Wäre dies nicht erfolgt, so wäre gewiss eine Disziplinarmaßnahme zu Lasten des Antragstellers erfolgt. Mithin konnte sich für die Öffentlichkeit nicht der Eindruck ergeben, dererlei Disziplinlosigkeiten würden anstandslos von der Bundeswehr hingenommen und blieben für den betreffenden Soldaten folgenlos. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall, zumal auch in der Öffentlichkeit bei einem verständigen Betrachter es von Bedeutung wäre, dass sich dieser Vorfall in der Freiwache unter Gleichrangigen abgespielt hat. Die Information der Öffentlichkeit wäre daher einher mit der Information über die Ahndung gegangen, so dass nach Ansicht der Kammer eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr durch den Vorfall nicht zu besorgen ist.

16

Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

 


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