Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Stade 1. Kammer | 1 A 4064/17 | Urteil | Naturschutzrechtliche Wiederherstellungsanordnungen im Sinne des § 17 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG nach Tiefumbruch einer zuvor extensiv bewirtschafteten Grünlandfläche und anschließender Umwandlung in Intensivgrünland

Abkürzung Fundstelle

Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Stade 1. Kammer | 1 A 4064/17 | Urteil | Naturschutzrechtliche Wiederherstellungsanordnungen im Sinne des § 17 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG nach Tiefumbruch einer zuvor extensiv bewirtschafteten Grünlandfläche und anschließender Umwandlung in Intensivgrünland

Im Hinblick auf die übrigen Flächen (ohne „Polygon“) stehen §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG einem Tätigwerden des Beklagten als Naturschutzbehörde nach § 17 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG aber jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil diese Vorschriften bei verfassungskonformer Auslegung weder die Annahme eines Eingriffs i.S.d. § 14 Abs. 1 BNatSchG noch die hier auf Tatbestandsseite des § 17 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG notwendige Anwendung des nachrangigen Genehmigungserfordernisses aus § 17 Abs. 3 BNatSchG ausschließen. Im Hinblick auf das „Polygon“ legt die Kammer dies hilfsweise als selbstständig tragenden Begründungsansatz zugrunde. Nach dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung ist eine Gesetzesnorm, bevor sie nach Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen ist (vgl. Morgenthaler, in: BeckOK, GG, Stand: 15. November 2021, Art. 100 GG, Rn. 16 ff.; Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Auflage, 2021, Art. 100 GG, Rn. 13 ff.), so auszulegen, dass sie mit den Grundsätzen der Verfassung im Einklang steht. Bei mehreren Möglichkeiten der Normauslegung soll diejenige maßgeblich sein, bei der die gesetzliche Regelung mit der Verfassung im Einklang steht. Unter Berücksichtigung ihres Wortlautes lassen §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG nicht erkennen, dass der Landesgesetzgeber die darin vorgesehenen Ausschlüsse auf bestimmte Fallgestaltungen, etwa auf „Bagatellfälle“ o.ä., beschränkt hat. Eine solche uneingeschränkte Auslegung und Anwendung von §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG, wie sie ihr Wortlaut nahelegt, wäre zur Überzeugung der Kammer jedoch mit höherrangigem Recht unvereinbar, weil der Landesgesetzgeber damit den Eingriffsbegriff aushöhlen und die – über das nachrangige Genehmigungserfordernis des § 17 Abs. 3 BNatSchG sichergestellte – Anwendung des Folgenbewältigungsprogramms für derartige Eingriffe ausschließen würde. Damit würde der Landesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG überschreiten (an der Verfassungsmäßigkeit zweifelnd auch VG Oldenburg, Urteil vom 30. August 2017 – 5 A 4483/16 –, juris; offengelassen: BVerwG, Urteil vom 01. September 2016 – 4 C 4.15 –, Rn. 22, juris; Nds. OVG, Urteil vom 30. Juni 2015 – 4 LC 285/13 –, Rn. 52, juris). Danach ist es dem Landesgesetzgeber im Bereich von Naturschutz und Landschaftspflege u.a. verwehrt, von den allgemeinen Grundsätzen des Naturschutzrechts abzuweichen. Nach § 13 BNatSchG entspricht es einem allgemeinen Grundsatz des Naturschutzes, dass erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vom Verursacher vorrangig zu vermeiden sind, während nicht vermeidbare erhebliche Beeinträchtigungen durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder nachrangig durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren sind. Den Ländern wird auf diesem Wege signalisiert, was aus Sicht des Bundesgesetzgebers jenseits aller in §§ 14 f. BNatSchG normierten Details zu den einer Abweichung unzugänglichen Gehalten der Eingriffsregelung zählt. Neben dem Eingriffsbegriff gehören danach das Folgenbewältigungsprogramm mit seinen Elementen der vorrangigen Vermeidung, der sekundären Naturalkompensation und des subsidiären Ersatzgeldes sowie das hiermit verbundene Verursacherprinzip zu den Essentialia der Eingriffsregelung (vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2021, § 13 BNatSchG, Rn. 3 ff.; BT-Drs. 16/12274, S. 56 f.; BR-Drs. 278/09, S. 178 f.). Mit einer am Gesetzeszweck orientierten Auslegung der §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG kann ein derartiger Verstoß gegen formelles Verfassungsrecht allerdings vermieden werden. Ausweislich der Gesetzesmaterialien wollte der Landesgesetzgeber mit den Ausschlüssen in §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG der Sache nach „Bagatelleingriffe“ vom Eingriffsbegriff und Folgenbewältigungsprogramm ausnehmen (vgl. LT-Drs. 16/2216, S. 4). Der Landesgesetzgeber mag insoweit zwar der – mit verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbaren – Fehlvorstellung unterlegen sein, dass sämtliche Veränderungen der Gestaltung oder Nutzung von Grundflächen und Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die nicht von einer Behörde durchgeführt werden und die keiner behördlichen Zulassung oder Anzeige nach anderen Rechtsvorschriften als der des § 17 Abs. 3 BNatSchG bedürfen, lediglich „Bagatelleingriffe“ darstellen. Dem gesetzgeberischen Grundanliegen, „Bagatelleingriffe“ vom Eingriffsbegriff und Folgenbewältigungsprogramm ausnehmen zu wollen, kann aber im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion durch verfassungskonforme Auslegung Rechnung getragen werden, indem §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG das Vorliegen eines nach § 17 Abs. 3 BNatSchG von der Naturschutzbehörde zu genehmigenden Eingriffs i.S.d. § 14 Abs. 1 BNatSchG nur in „Bagatellfällen“ auszuschließen vermögen. Eine solche Beschränkung der Ausschlüsse auf niedrigschwellige Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft ist von der Abweichungskompetenz des Landesgesetzgebers gedeckt und den §§ 5 und 7 Abs. 1 NAGBNatSchG verbleibt bei einem solchen Verständnis ein eigener Anwendungsbereich (vgl. Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, Stand: Juni 2020, § 13 BNatSchG, Rn 8 ff.; Schrader, in: BeckOK, Umweltrecht, Stand: 1. Oktober 2021, § 13 BNatSchG, Rn. 11; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2021, § 13 BNatSchG, Rn. 6; s. auch VG Oldenburg, Urteil vom 30. August 2017 – 5 A 4483/16 –, Rn. 27, juris). Die geltungserhaltende Reduktion entspricht auch dem hypothetischen Willen des Landesgesetzgebers, da mit dieser weiterhin, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, dem seinerzeit vor allem durch die weitgehende Abschaffung des nachrangigen Genehmigungserfordernisses des § 17 Abs. 3 BNatSchG verfolgten Anliegen der „Entbürokratisierung“ (LT-Drs. 16/1902, S. 46) Rechnung getragen wird.

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

Vermisst: Rebecca Reusch – Wer hat die 15-Jährige zuletzt gesehen oder kann Hinweise geben?

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen