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Berlin (ots)
In Anbetracht neuerer wissenschaftlicher Studien über den unmittelbaren Einfluss von Glyphosat auf das Insektensterben verlangt die Aurelia Stiftung von der EU-Kommission, die Verlängerung der Zulassung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat aufzuheben. Die Überprüfung der Zulassung wurde beantragt und soll notfalls beim Europäischen Gericht in einem Musterverfahren durchgesetzt werden. Obwohl die Sicherheitsprüfungen nicht abgeschlossen wurden, hatte die EU-Kommission kürzlich die Zulassung für das umstrittene Ackergift von Bayer um ein Jahr verlängert.
Die Zulassung von Glyphosat ist nach Auffassung der Aurelia Stiftung aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr tragbar. Dies wird durch von Herstellern unabhängige neuere Studien gestützt, wonach sich Glyphosat unmittelbar negativ auf Gesundheit und Lebenserwartung bestäubender Insekten auswirkt. So belegte eine im Juni 2022 in „Science“ publizierte Studie der Universität Konstanz, dass der Wirkstoff Glyphosat in Kombination mit Trachtmangel die Brutpflege und somit das Überleben von Hummelkolonien gefährdet. Glyphosat schädigt auch die symbiotischen Bakterien von Käfern, wie bereits 2021 eine in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Studie zeigte. Gefahren für bestäubende Insekten sind nicht nur für den Wirkstoff selbst belegt, sondern auch für Glyphosat-haltige Herbizide. Eine Studie aus „Science of The Total Environment“ vom Dezember 2022 dokumentiert eine erhebliche Beeinträchtigung der Entwicklung von Florfliegen durch die glyphosathaltige Roundup-Formulierung „WeatherMax“, die zum Anstieg tödlicher Missbildungen bei diesen bestäubenden Insekten führte.
Die EU-Kommission hat die Zulassung von Glyphosat im Dezember 2022 für ein weiteres Jahr verlängert. Die seit drei Jahren laufende Risikobewertung war jedoch aufgrund von Datenlücken sowie offenen methodischen Fragen nicht abgeschlossen. Mit ihrer Entscheidung nimmt die EU-Kommission in Kauf, dass Glyphosat ungeprüft weiterhin vermarktet und eingesetzt wird. Aus Sicht der Aurelia Stiftung verstößt sie damit gegen ein elementares Ziel der europäischen Pestizidverordnung: Pestizide dürfen nur Wirkstoffe enthalten, die nach aktueller wissenschaftlicher Risikobewertung nachweislich sicher sind. Die Hersteller müssen rechtzeitig und vollständig sämtliche Nachweise für die Unschädlichkeit zu prüfender Pflanzenschutzmittel einreichen.
Im Auftrag der Aurelia Stiftung hat die Berliner Anwaltskanzlei [GGSC] daher bei der EU-Kommission beantragt, die Glyphosat-Verlängerungsentscheidung zu überprüfen und aufzuheben. Damit strebt die Aurelia Stiftung ein Musterverfahren gegen die Praxis der EU-Kommission an, Pestizid-Genehmigungen trotz lückenhafter Daten zur Sicherheit der Wirkstoffe zu verlängern.
Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung, sagte:
„Wir beschreiten den Rechtsweg für die konsequente Einhaltung des Vorsorgeprinzips, das in der Europäischen Pestizidverordnung verankert ist. Das Vorsorgeprinzip schützt Ökosysteme und Menschen, es darf nicht durch die Hintertür ausgehebelt werden. Nicht nur Glyphosat, sondern auch Dutzende weitere Pestizid-Wirkstoffe werden in der EU immer wieder verlängert, obwohl die erforderlichen Sicherheitsprüfungen nicht abgeschlossen sind. Das Zulassungsverfahren für Glyphosat macht die gravierenden Mängel im Zulassungsprozess überdeutlich. Neuere Studien belegen erhebliche Schäden durch Glyphosat bei Insekten. Diese Gefahrenlage muss in die Beurteilung des Wirkstoffs auf EU-Ebene sowie in die Bewertung von glyphosathaltigen Herbiziden einfließen. Die Zulassung muss gestoppt werden. Der Verlust an Blütenbestäubern gefährdet unsere Ökosysteme.“
Dr. Achim Willand von der Kanzlei [GGSC], der die Aurelia Stiftung juristisch vertritt, sagte:
„Die schon nahezu routinemäßige Verlängerung von Genehmigungen für Pestizid-Wirkstoffe widerspricht dem maßgeblichen Grundsatz, dass nur nachweislich sichere Pestizid-Wirkstoffe vermarktet werden dürfen. Ausnahmen hiervon müssen eng begrenzt bleiben. Die vorgeschriebene aktualisierte Risikoprüfung für Glyphosat konnte bis heute wegen der Datenlücken und ungeklärter methodischer Fragen nicht abgeschlossen werden. Durch die Verlängerungsentscheidung der Kommission erhalten die Hersteller immer wieder die Gelegenheit, Daten nachzureichen. Bei Glyphosat hätten Bayer und die anderen Hersteller alle relevanten Nachweise der Unschädlichkeit bereits in der Anfangsphase des Verfahrens in den Jahren 2019 und 2020 vorlegen müssen.“
Hintergrund
Zwar können die Maßnahmen der EU-Kommission im Bereich des Umweltschutzes nicht immer unmittelbar vor den EU-Gerichten angefochten werden. Umweltverbände können jedoch seit Ende 2021 fordern, dass Zulassungen für Pestizid-Wirkstoffe von der EU-Kommission und, falls erforderlich, von dem Europäischen Gericht in Luxemburg (EuG) überprüft und gegebenenfalls neu entschieden werden. Gemeinsam mit anderen Verbänden hatte sich die Aurelia Stiftung für dieses erweiterte Überprüfungs- und Klagerecht eingesetzt, von dem sie nun Gebrauch macht.
Zwei aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 06.05.2021 und 19.01.2023) zu Anwendungsverboten für Neonicotinoide stützen die Rechtsauffassung der Aurelia Stiftung auch in Sachen Glyphosat. Demnach kann die Anwendung von Pestizidprodukten verboten werden, wenn sie nicht nach dem aktuellen Wissensstand nachweislich unschädlich sind. In wissenschaftlich begründeten Verdachtsfällen hat also der Umweltschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Nach Rechtsauffassung der Aurelia Stiftung sollte dies auch für Glyphosat gelten.
Das Glyphosat-Verbot ist ein politisch heikles Thema in der EU. Im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) wie auch im entsprechenden Berufungsausschuss war zuletzt keine Mehrheit für eine Verlängerung der Zulassung zustande gekommen. Deutschland hatte sich zum Bedauern von ökologisch wirtschaftenden Landwirt*innen, Naturschutzverbänden und Imker*innen bei beiden Abstimmungen enthalten.
Ausblick
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist vereinbart, Glyphosat ab Anfang 2024 komplett zu verbieten. Dies hat Bundesagrarminister Cem Özdemir in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung, die für Spritzmittel gilt, bereits festgelegt. Doch es bleibt ein großes Fragezeichen, ob es Anfang 2024 wirklich zum Verbot kommt. Juristische Einschätzungen zu den Optionen für die deutsche und die europäische Politik sind auf der Webseite der Aurelia Stiftung zu finden: www.aurelia-stiftung.de/wir-klagen-gegen-glyphosat.
Weitere Informationen
Pressekontakt:
Thomas Radetzki (Vorstand der Aurelia Stiftung) – thomas.radetzki@aurelia.stiftung.de – Mobil: +49 (0)171 336 65 69
Dr. Achim Willand (Rechtsanwalt, Anwaltskanzlei [GGSC]) – willand@ggsc.de – Tel.: +49 (0)30 726 10260
Annika Natus (Leitung Presse- & Öffentlichkeitsarbeit) – annika.natus@aurelia-stiftung.de – Tel.: +49 (0)30 577 00 39 66
Original-Content von: Aurelia Stiftung, übermittelt durch news aktuell
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Original Quelle Presseportal.de
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