München (ots)
Es ist ein hartes Jahr für die privaten Fernsehsender. Die Werbeerlöse, die hohe Margen einspielen, gehen wegen des verschlechterten Konsumklimas und der trüben Aussichten für die Konjunktur zurück. Sowohl RTL als auch ProSiebenSat.1 senkten im Sommer die Geschäftsprognosen für 2022. Dass ProSiebenSat.1 nun den Vorstandsvorsitzenden austauscht, hat mit dieser herausfordernden, aber regelmäßig wiederkehrenden Situation wohl nichts zu tun.
Vielmehr geht es um den Wandel zu einem Unternehmen, das sein Digitalangebot ausbauen will. Längst haben sich die Vorlieben der Zuschauer geändert – vor allem der jüngeren. Videoportale wie Youtube und Tiktok sowie Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime stehen auf der Favoritenliste weit oben.
Andreas Wiele, seit Mai Aufsichtratschef von ProSiebenSat.1, traut offenbar eher einem Medienfachmann als einem Finanzexperten zu, diesen Umbruch zu bewältigen. Der künftige Konzernchef Bert Habets sammelte als RTL-Manager Erfahrung mit dem Entwickeln und dem Angebot von Streamingdiensten in den Niederlanden und in der Gruppe.
Rainer Beaujean, der jetzt gehen muss, versuchte sein mangelndes Vorwissen über die Branche mit viel Selbstbewusstsein wettzumachen. Als Vorstandsvorsitzender von T-Online wirkte er am Aufbau von Magenta-TV mit und attestierte sich deshalb Kompetenz als Medienmanager. Aus der Sicht des ehemaligen Axel-Springer-Vorstands Wiele scheint das nicht auszureichen. Er setzt nun auf Habets und erhofft sich von ihm Impulse für ein kräftiges Wachstum des Unternehmens.
Filme und Serien per Streaming bieten auch die Sendergruppen von ProSiebenSat.1 schon seit einigen Jahren an. Die Plattform Joyn startete ProSiebenSat.1 mit dem US-amerikanischen Partner Discovery vor gut drei Jahren. Auch andere wie ARD und ZDF sind mit ihrem Programm auf Joyn dabei, nicht aber RTL. Die Luxemburger Gruppe investiert in das eigene Angebot RTL+. Nach dem Ausstieg von Discovery kann ProSiebenSat.1 die Verluste, die Joyn noch bringt, nicht mehr teilen. Wiele vertraut Habets, den Sprung in die Gewinnzone bald zu schaffen.
Offenbar tat sich der Aufsichtsratschef mit dem Finanzspezialisten Beaujean schwer. Den hatte der frühere Aufsichtsratsvorsitzende Werner Brandt, ehemaliger Finanzvorstand von SAP, 2019 zu ProSiebenSat.1 geholt. Beide waren auf einer Wellenlänge, und so stieg Beaujean im Frühjahr 2020 zum CEO auf, als der wegen seiner ruppigen Art im Unternehmen und Vorstand unbeliebte Max Conze nicht mehr zu halten war. Schon im Fall des anfangs mit der Sanierung des Unternehmens erfolgreichen, später aber nur noch überheblichen Thomas Ebeling zögerte Brandt, bis Ebeling nach einer geschäftsschädigenden Äußerung im Frühjahr 2018 endlich gehen musste.
Der Belgier Guillaume de Posch war von 2004 bis Ende 2008 der bisher letzte Medienmanager auf dem Chefsessel von ProSiebenSat.1. Ebeling kam aus der Konsumgüter- und Pharmabranche, Conze vom Staubsaugerhersteller Dyson, Beaujean vom Verpackungshersteller Gerresheimer. Nach diese Seiteneinsteigern sind die Erwartungen an den Fernseh- und Digitalexperten Habets besonders hoch.
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