Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 13. Senat | 13 ME 507/21 | Beschluss | Zur Prüfung des Merkmals „ausreichende Existenzmittel“ im Sinne von § 4 Satz 1 FreizügG/EU (nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte)

Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 13. Senat | 13 ME 507/21 | Beschluss | Zur Prüfung des Merkmals „ausreichende Existenzmittel“ im Sinne von § 4 Satz 1 FreizügG/EU (nicht erwerbstätige Freizügigkeitsberechtigte)

(c) Hingegen bildet eine tatsächliche Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger (zumal wenn sie dauerhaft oder gar vollständig erfolgt) ein Indiz dafür, dass ausreichende Existenzmittel diesem nicht verfügbar sind (vgl. Tewocht, a.a.O., FreizügG/EU § 4 Rn. 10). Allerdings ist wiederum zu beachten, dass nach Art. 14 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat nicht automatisch zu einer „Ausweisung“ führen darf, die im deutschen FreizügG/EU ihre Entsprechung in der „Feststellung des Verlusts oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts“ findet. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist hierfür vielmehr eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen erforderlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.7.2015, a.a.O., Rn. 21 m. zahlr. Nachw. aus der Rspr. des EuGH, namentlich der grundlegenden Urt. v. 19.9.2013 – Rs. C-140/12 – [Brey], InfAuslR 2013, 448, juris Rn. 63, v. 7.9.2004 – Rs. C-456/02 – [Trojani], InfAuslR 2004, 417, juris Rn. 45, v. 17.9.2002 – Rs. C- 413/99 – [Baumbast], NJW 2002, 3610, juris Rn. 91 ff., sowie v. 20.9.2001 – Rs. C-184/99 – [Grzelczyk], InfAuslR 2001, 481, juris Rn. 43 f.; vgl. auch Sätze 1 und 2 des 16. Erwägungsgrundes der Freizügigkeitsrichtlinie: „Solange die Aufenthaltsberechtigten die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen, sollte keine Ausweisung erfolgen. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen sollte daher nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.“), welche die in Art. 7 Abs. 1 lit. b) der Freizügigkeitsrichtlinie aufgestellte Voraussetzung der „ausreichenden Existenzmittel“ vor allem verhindern soll (vgl. EuGH, Urt. v. 19.9.2013, a.a.O., Rn. 54 – mit Bezug auf den 10. Erwägungsgrund der Freizügigkeitsrichtlinie, der jedoch unmittelbar nur die ersten drei Monate des Aufenthalts betrifft, vgl. hierzu Art. 14 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie – und v. 21.12.2011 – Rs. C-424/10 und C-425/10 – [Ziolkowski und Szeja], NVwZ-RR 2012, 121, juris Rn. 40). Eingedenk dieser unionsrechtlichen Vorgaben und zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in die durch Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährleistete Freizügigkeit der Unionsbürger erscheint vor dem Hintergrund der mit der Verlustfeststellung einhergehenden Ausreisepflicht (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU) nach alledem eine unionsrechtskonforme Auslegung des Merkmals „ausreichende Existenzmittel“ in § 4 Satz 1 FreizügG/EU dahingehend geboten, dass nur eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialhilfe schädlich erscheint, das heißt zur Nichterfüllung des Merkmals „ausreichende Existenzmittel“ führt.

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

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