Zur Klimaneutralität im Verkehrssektor führen mehrere Wege

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JDB MEDIA GmbH

Berlin (ots)

Die Bundesregierung will den Verkehr in Deutschland bis 2045 dekarbonisieren. Im Interview erklärt Kurt-Christoph von Knobelsdorff, Chef der bundeseigenen Förderorganisation NOW GmbH, warum Wasserstoff als „integraler Bestandteil des Energiesystems der Zukunft“ dabei eine zentrale Rolle spielt.

Laut Umweltbundesamt war der Verkehrssektor im Jahr 2020 für fast 20 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich – das entspricht einer jährlichen Gesamt-summe von 150 Millionen Tonnen CO2. Mehr als die Hälfte dieser Emissionen kommt aus den Auspuffrohren der 48,5 Millionen Pkw in Deutschland. Durch Förderung erneuerbarer Energien sollen die Emissionen bis 2030 auf 95 Millionen Tonnen sinken. In Fachkreisen gilt deshalb Wasserstoff als unverzichtbar für eine gelungene Verkehrswende. „Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist bereits im Gange. Wir in Europa müssen uns jetzt nur Gedanken darüber machen, wie lang dieser Weg sein wird“, sagt Kurt-Christoph von Knobelsdorff. Der CEO der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, kurz NOW GmbH, weiß, dass eine gute Industriepolitik die Grundlage für eine erfolgreiche Wasserstoffwirtschaft ist. Nur so kann das gesamte Energiesystem profitieren.

Die NOW GmbH spielt eine zentrale Rolle, wenn es um nachhaltige Mobilität in Deutschland geht. Herr von Knobelsdorff, was genau macht die NOW GmbH?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Als bundeseigene GmbH unterstützen wir die Bundesregierung in ihren klima- und industriepolitischen Zielen. Wir entwickeln nachhaltige Technologien mit einem Schwerpunkt im Sektor Mobilität. Unsere konkreten Aufgaben bestehen darin, die Forschung und Entwicklung solcher Technologien zu fördern sowie anschließend deren Markthochlauf und schlussendliche Verbreitung zu unterstützen. Das tun wir unter anderem, indem wir öffentliche Förderprogramme koordinieren, Stakeholder-Prozesse organisieren, unser Wissen vermitteln und in der Öffentlichkeit für nachhaltige Mobilität werben. Dabei sind wir quasi qua Auftrag technologieoffen.

Wasserstoff erlebt derzeit einen enormen Hype – als Multitalent der Energiewende und für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung. Setzt sich Wasserstoff jetzt als Zukunftsenergie durch?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Inzwischen ist klar, dass das klimaneutrale Energiesytem der Zukunft sowohl erneuerbare Elektronen als auch erneuerbare Moleküle benötigt. Grüner Wasserstoff, als gut speicherbarer und transportfähiger Energieträger, wird ein integraler Bestandteil des Energiesystems der Zukunft sein. Als Anwendungsbereich für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie war lange Zeit der Mobilitätssektor im alleinigen Fokus. Doch spätestens seit die Bundesregierung 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen hat, ist klar, dass er auch in den anderen Sektoren eine große Rolle spielen wird. Dementsprechend erleben wir aktuell keinen Hype, sondern tatsächlich den Beginn des Wasserstoffzeitalters.

Die breite Öffentlichkeit hat aktuell wenig Berührungspunkte mit Wasserstoff. Was sind konkrete Anwendungsbereiche?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Wasserstoff kann mit stationären Brennstoffzellen Strom und Wärme produzieren und mit mobilen Brennstoffzellen Fahrzeuge antreiben. Wasserstoff wird für die Produktion synthetischer Kraftstoffe benötigt, die zum Beispiel Flugzeuge und Schiffe antreiben können. Wasserstoff dient auch als Grundstoff für die chemische Industrie, er kann Industrieprozesse wie die Stahlerzeugung dekarbonisieren, als Energiespeicher dienen – die Liste der Möglichkeiten ist lang.

Die Bundesregierung hat bislang neun Milliarden Euro für die Förderung der Wasserstoffproduktion bereitgestellt. Reicht das?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Zunächst muss man hier differenzieren, denn diese Summe unterfüttert sämtliche Maßnahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie. Allein zwei Milliarden davon sind für den Import von grünem Wasserstoff vorgesehen. Fördergelder allein reichen aber nicht aus, um den nötigen massiven Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft anzukurbeln. Dafür bedarf es vor allem Rechtssicherheit, und die liefert ein verlässlicher regulatorischer Rahmen. Konkret ist hier zunächst die EU-Kommission in der Verantwortung. Diese hat kürzlich sogenannte delegierte Rechtsakte erlassen, die definieren, was grüner Wasserstoff ist beziehungsweise unter welchen Bedingungen man grünen Strom aus dem Netz nehmen kann, um damit Wasserstoff zu produzieren. Das hat maßgeblichen Einfluss auf den Business-Case von Wasserstoffproduzenten – und auf deren Investitionen.

Droht die Verkehrswende an der Bürokratie zu scheitern?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Die Mühlen unserer Bürokratie mahlen zwar mitunter langsam, aber am Ende kommen die Maßnahmen ja an. Ich habe im Moment eher die Angst, dass wir in Europa mit unseren komplizierten Beihilfeverfahren ins Hintertreffen geraten. Die USA haben kürzlich den Inflation Reduction Act, kurz IRA, beschlossen, der die dortige Wasserstoffwirtschaft durch großzügige Steuergutschriften und ein sehr einfaches Förderprinzip begünstigt. Das wird dazu führen, dass uns die USA beim Thema Wasserstoff und nachhaltige Mobilität überholen. Aber auch China, Südkorea und Japan befinden sich mittlerweile auf der Überholspur – wir brauchen in Europa einfach zu lange.

Ganz grundsätzlich: Was verstehen Sie unter „nachhaltiger Mobilität“?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Der Begriff Mobilität ist sehr breit gefächert. Er umfasst einmal die vier großen Teilsektoren: Schiffs-, Flug-, Schienen- und Straßenverkehr. Aber auch der Rad- und Fußgängerverkehr sowie der öffentliche Nahverkehr gehören zur Mobilität. Für die NOW spielen vor allem Antriebstechnologien eine Rolle – also Technologien, bei denen Energie aufgewendet werden muss, um Verkehrsmittel aller Art in Bewegung zu setzen. In diesem Zusammenhang bedeutet dann Nachhaltigkeit, dass Treibstoffe defossilisiert und durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Das kann der grüne Strom direkt sein oder alle anderen Energieträger, die auf erneuerbaren Molekülen beruhen.

In Deutschland kommen auf 900.000 E-Autos nur 2.000 Brennstoffzellen-Pkw. Warum ist der Andrang nicht größer?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Es gibt die Fahrzeuge schlichtweg noch nicht. Das Interesse an Brennstoffzellenautos ist da, aber sie sind noch kein Massenprodukt. Die deutschen Hersteller investieren entweder gar nicht oder nur langsam in Brennstoffzellentechnologie. Doch zur Klimaneutralität im Verkehrssektor führen mehrere Wege. Auch wenn Batteriefahrzeuge den Löwenanteil der Pkw-Flotte ausmachen werden, hat die Brennstoffzelle im Pkw ihre Berechtigung und Perspektive. Wenn man beispielsweise regelmäßig lange Strecken fährt, bietet ein Wasserstoff-Fahrzeug wegen der kurzen Betankungszeiten Vorteile. Die Verkehrswende funktioniert demnach nur durch Technologieoffenheit.

Wie sieht es mit Tankstellen für Wasserstoff aus?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Die Infrastruktur ist aktuell noch eine Herausforderung. Die Bundesregierung hat jetzt aber mit großem Druck innerhalb Europas eine Richtlinie durchbekommen, die Wasserstofftankstellen stärker fördert. Für dieses wichtige Programm hat das Verkehrsministerium auch eigene Mittel bereitgestellt. Hier waren wir nicht nur in guten Gesprächen, sondern konnten auch durch Zahlen und Studien die Politik bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen.

Apropos Tanken: In Berlin gibt es aktuell fünf Wasserstofftankstellen. Ist das nicht etwas wenig?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Auf Dauer natürlich, aber im EU-Vergleich hat Deutschland das mit Abstand beste Netz an Wasserstofftankstellen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man mit einem Wasserstoffauto ohne Probleme in jeden Winkel Deutschlands kommt. Und: Die NOW und das Verkehrsministerium werden auch in Zukunft den Bau von Wasserstofftankstellen fördern. Dazu wird es dieses Jahr auch wieder einen Förderaufruf aus dem Nationalen Innovationsprogramm „Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie“ der NOW geben. Erfreulicherweise haben auch bereits einige private Investoren angekündigt, in großem Umfang Wasserstofftankstellen zu bauen. Das ist langfristig wichtig, denn am Schluss darf nicht der Staat eine Tank-Infrastruktur aufbauen und betreiben, sondern das Ganze muss sich wirtschaftlich lohnen und deswegen privates Kapital anziehen.

Gerade steigen die Rohstoffpreise, und auch die erneuerbaren Energien werden teurer. Können wir die Verkehrswende trotzdem meistern?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Wir haben gar keine Alternative. Wir müssen uns von fossilen Energien lösen und auf erneuerbare Energien umsteigen. Außerdem haben die aktuellen Energiepreissteigerungen einen klaren geopolitischen Grund, nämlich Russlands Überfall auf die Ukraine. Wenn dieser Krieg irgendwann ein Ende hat, wird sich auch das Energiepreisniveau wieder stabilisieren. Das Thema Rohstoffe hingegen bleibt weiterhin wichtig, denn der Umstieg auf die Elektromobilität – egal ob mittels Batterie oder Brennstoffzelle – bedarf einer ganzen Reihe seltener Rohstoffe. China hat sich diese Rohstoffe schon umfangreich gesichert und sitzt jetzt deshalb am Preishebel. Es hat ein globaler Wettlauf um Rohstoffe begonnen, und Deutschland hatte weder eine gute Startposition noch ist es gut aus den Startblöcken gekommen.

Für Sie als gelernter Volkswirt: Lassen sich Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit überhaupt vereinen?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Davon bin ich überzeugt. Die CO2-Bepreisung für Wärme und Verkehr, die seit Januar 2021 gilt und durch das neu verhandelte Emissionshandelssystem auf europäischer Ebene ergänzt wird, ist ja ein volkswirtschaftliches Konzept – die sogenannte Internalisierung externer Effekte. Durch die Preissteigerung fossiler Brennstoffe soll deren Verwendung gesteuert und so der Treibhausgasausstoß heruntergefahren werden. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Nutzung klimafreundlicher Energien wirtschaftlicher ist als die fossiler Energien. Gleichzeitig werden durch die Transformation riesige neue Industriezweige entstehen mit neuer Wertschöpfung und neuen Arbeitsplätzen. Die Entwicklung beziehungsweise der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist bereits im Gange. Wir in Europa müssen jetzt zusehen, dass wir uns ein ordentliches Stück vom Kuchen sichern.

Wenn dieses Interview alle Menschen in Deutschland erreichen würde, aber Sie könnten nur eine einzige Botschaft loswerden – welche wäre das?

// Kurt-Christoph von Knobelsdorff: Mir würde es schon genügen, wenn man die geneigte Fachöffentlichkeit oder Leute, die sich für das Thema interessieren, erreicht. Bei der Diskussion um die Effizienz von Energieträgern müssen wir das gesamte Energiesystem in den Blick nehmen. Da Deutschland auch künftig einen Großteil seiner benötigten Energie importieren muss, ist der Aspekt der Transport- und Speicherfähigkeit erneuerbarer Energieträger deutlich relevanter als die Frage der Wandlungseffizienz der Endanwendung. Mir wäre deshalb besonders wichtig, den Fokus endlich auf Systemeffizienz statt auf technische Effizienz zu legen.

Über Kurt-Christoph von Knobelsdorff

Kurt-Christoph von Knobelsdorff ist führender Ansprechpartner für nachhaltige Mobilität und erfahrener Entscheidungsträger, wenn es um umweltfreundliche Verkehrsentwicklung geht. Seit Mitte 2020 ist er CEO und Sprecher der Förderorganisation NOW GmbH. Für die Förderung von Wasserstoffwirtschaft hat die Bundesregierung bisher eine Summe von neun Milliarden Euro bereitgestellt.

Über NOW GmbH

(Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie)

Die Bundesgesellschaft treibt seit 2008 die deutsche Wasserstoffstrategie voran und unterstützt die Bundesregierung in ihren klima- und industriepolitischen Zielen. Der offizielle Auftrag der NOW GmbH: nachhaltige Technologien fördern – vom frühen Stadium der Forschung und Entwicklung bis hin zur Marktaktivierung und Verbreitung. Zu ihren Aufgabengebieten gehört es unter anderem, diverse Förderprogramme rund um nachhaltige Verkehrsentwicklung zu koordinieren und in der Öffentlichkeit für saubere Mobilität zu werben.

Das Interview finden Sie auch als Videocast auf YouTube:

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Original Quelle Presseportal.de

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