Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 12. Senat | 12 KS 71/22 | Beschluss | Verwaltungskosten eines auf die Genehmigung eines Windparks bezogenen Widerspruchsverfahrens

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OVG Lüneburg 12. Senat,
Beschluss vom
16.06.2022, 12 KS 71/22, ECLI:DE:OVGNI:2022:0616.12KS71.22.00

§ 48 Abs 1 S 1 Nr 3a VwGO

Tenor

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das zuständige Verwaltungsgericht Hannover verwiesen.

Gründe

I.

1

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen einen von ihr für überhöht gehaltenen Kostenbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2021 über 283.688,52 EUR (Anlage K5 der Klageschrift) in der Fassung des dazu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 27. April 2022 (Anlage K8 der Klageschrift), mit dem der Beklagte ihren Widerspruch gegen diesen Kostenbescheid zurückwies.

2

In dem Kostenbescheid wurden der Höhe nach jene Kosten eines Widerspruchsverfahrens festgesetzt, die der Klägerin dem Grunde nach bereits durch die Kostenlastentscheidung eines Widerspruchsbescheides vom 19. März 2021 (unter II. der Anlage K4 der Klageschrift) auferlegt worden waren. Das Widerspruchsverfahren, das der Bescheid vom 19. März 2021 abschloss, war über einen unter dem 23. Juli 2020 erhobenen Widerspruch (Anlage K3 der Klageschrift) geführt worden, den die Klägerin gegen mehrere Nebenbestimmungen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 24. Juni 2020 (Anlage K1 der Klageschrift) erhoben hatte. Durch diese Genehmigung waren ihr die Errichtung und der Betrieb von vier Windenergieanlagen (WEA) mit einer jeweiligen Gesamthöhe von 179,90 m im Ortsteil D. des Fleckens E. gestattet worden.

3

In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2022 (Anlage K8 zur Klageschrift) wurde die Klägerin über den Rechtsbehelf einer bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht anzubringenden Klage belehrt.

4

Die dazu angehörten Beteiligten sind der beabsichtigten Verweisung nicht entgegengetreten.

II.

5

Der Rechtsstreit ist an das Verwaltungsgericht Hannover zu verweisen, weil das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht für ihn nicht zuständig ist.

6

Nach § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht das Oberverwaltungsgericht im Falle seiner (sachlichen) Unzuständigkeit (1) dieselbe aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das sachlich und örtlich zuständige Gericht (2).

7

1. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist unzuständig. Denn auf der Grundlage des als zuständigkeitsbegründend allein in Betracht zu ziehenden § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO ist seine Zuständigkeit nicht gegeben. Die genannte Vorschrift weist dem Obergericht zwar die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit für sämtliche Streitigkeiten zu, die die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Windenergieanlagen (WEA) an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m (raumbedeutsame WEA) betreffen. Streitigkeiten um isolierte Kostenbescheide, in denen Verwaltungskosten der Höhe nach festgesetzt werden, die – wie hier – in Verwaltungsverfahren über den Widerspruch gegen eine Errichtungs- und Betriebsgenehmigung für raumbedeutsame WEA dem Widerspruchsführer auferlegt wurden, haben aber zu der Errichtung, dem Betrieb und der Änderung solcher WEA keinen zuständigkeitsbegründenden Bezug (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.1995 – BVerwG 11 VR 42.95 -, NVwZ-RR 1996, 610 f., hier zitiert nach juris, Rn. 5, – betreffend ähnliche Regelungen in § 5 Abs. 1 i. V. m. § 1 VerkPBG und § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VwGO – m. w. N.). Das ergibt sich daraus, dass die erstinstanzliche Zuständigkeitszuweisung an das Obergericht in § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO gesetzessystematisch einen Ausnahmecharakter hat und dass das mit ihr verfolgte gesetzgeberische Ziel darin besteht, durch eine Verkürzung des Instanzenzugs in Rechtsstreitigkeiten über Genehmigungen schneller zu rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen zu gelangen. Dies soll die Verwirklichung der von der Zuständigkeitszuweisung erfassten Vorhaben und damit die Erreichung der auf Letztere bezogenen, für die „Energiewende“ zentralen Ausbauziele beschleunigen (vgl. Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Beschleunigung von Investitionen, Begründung, BT-Drucks. 19/22139, S. 16, unter B., zu Art. 1, zu Nr. 1, zu Buchst. a, zu Doppelbuchst. aa). Isolierte Streitigkeiten über Verwaltungskosten betreffen aber keine der einschlägigen Genehmigungen und durch eine Verkürzung des für sie gegebenen Instanzenzugs kann auch typischerweise die Verwirklichung von Vorhaben der raumbedeutsamen Windenergienutzung an Land nicht beschleunigt werden.

8

Dies gilt, obwohl auch eine überhöhte Gebührenforderung die Finanzmittel schmälert, die ein Vorhabenträger zur Verwirklichung seines Vorhabens einsetzen kann. Denn zu der Gesamthöhe aller anfallenden Investitionskosten stehen selbst etwaige Zuviel-Forderungen regelmäßig noch immer in einem so geringen Verhältnis, dass – zumal wenn (wie hier) die Vollziehung ausgesetzt wurde – die zügige Verwirklichung des Projektes nicht mit der rechtskräftigen Klärung der Berechtigung derartiger Forderungen steht und fällt. Vor diesem Hintergrund hängt die obergerichtliche Zuständigkeit auch nicht davon ab, ob in einem isolierten Kostenrechtsstreit etwa inzident die zugrundeliegende Sachentscheidung zu würdigen ist. Im Gegenteil wäre es der Erreichung des mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Investitionen verfolgten Zieles geradezu abträglich, wenn Arbeitskraft des Oberverwaltungsgerichts von Rechtssachen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO, in denen unmittelbar um die Vorhabengenehmigung gestritten wird, abgezogen werden müsste, um stattdessen erstinstanzlich (und damit ohne die Filterwirkung der Zulassungsberufung) andere Fälle zu entscheiden, in denen eine Vorhabengenehmigung als solche nicht Streitgegenstand ist, aber ihr Inhalt aus Kostengründen problematisiert wird. Es kann daher auch nicht verwundern, dass der Bundesgesetzgeber, dessen Kenntnis der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung vorausgesetzt werden darf, dem § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO keine Regelung zur Seite gestellt hat, welche als Reaktion auf diese Judikatur die erstinstanzliche obergerichtliche Zuständigkeit ausdrücklich auf Kostenbescheide erstrecken würde.

9

Soweit die Klägerin die ihr erteilte (unrichtige) Rechtsbehelfsbelehrung anspricht, ist lediglich daran zu erinnern, dass diese ohne Einfluss auf die gerichtliche Zuständigkeit ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.3.2022 – 19 D 66/22.A -, juris, Rnrn. 7 f.)

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2. Zuständig für die Anfechtungsklage gegen den hier angegriffenen Kostenbescheid ist das Verwaltungsgericht Hannover. Dies folgt für die sachliche Zuständigkeit aus § 45 VwGO und für die örtliche aus § 53 Nr. 3 Satz 1 VwGO i. V. m. § 73 Abs. 2 Nr. 3 NJG, wonach dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Hingegen dürfte sich die örtliche Zuständigkeit hier nicht bereits aus § 53 Nr. 1 VwGO i. V. m. § 73 Abs. 2 Nr. 3 NJG ergeben (vgl. VG Mainz, Beschl. v. 19.11.2004 – 2 K 902/04.MZ -, juris, Rnrn. 2 ff.) – was indessen letztlich offenbleiben kann, weil es zu keinem anderen Ergebnis führen würde.

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3. Es bedarf keiner Kostenentscheidung, weil die Kosten im Verfahren vor dem angerufenen Gericht als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde (§ 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG).

III.

12

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).

 


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