Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Göttingen 3. Kammer | 3 B 181/22 | Beschluss | Keine Einbeziehung in ein Auswahlverfahren bei Eröffnung eines Disziplinarverfahrens

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Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Göttingen 3. Kammer | 3 B 181/22 | Beschluss | Keine Einbeziehung in ein Auswahlverfahren bei Eröffnung eines Disziplinarverfahrens

VG Göttingen 3. Kammer,
Beschluss vom
21.11.2022, 3 B 181/22, ECLI:DE:VGGOETT:2022:1121.3B181.22.00

§ 34 Abs 1 BeamtStG, § 35 Abs 1 BeamtStG, § 35 Abs 2 BeamtStG, § 47 Abs 1 BeamtStG

Gründe

1

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ihre Einbeziehung in ein Auswahlverfahren.

2

Die Antragstellerin war im Amt einer Städtischen Rätin seit dem 1. April 2021 Inhaberin des Dienstpostens Z. X. (F.) bei der Antragsgegnerin. Der Dienstposten ist mit A 15 NBesG bewertet. Eine schon vorbereitete Urkunde zur Ernennung der Antragstellerin zur Städtischen Direktorin, zu der der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin seine Zustimmung erteilt hatte, wurde der Antragstellerin nicht ausgehändigt. Für die Monate Oktober 2021 bis Januar 2022 besoldete die Antragsgegnerin die Antragstellerin gleichwohl nach A 15 NBesG; die Differenz zwischen A 14 und A 15 NBesG forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin zurück. Hierzu ist vor der 4. Kammer des beschließenden Gerichts unter dem Aktenzeichen 4 A 147/22 ein Rechtsstreit anhängig. Am 12. März 2022 wurde die Antragstellerin auf den mit A 14 NBesG bewerteten Dienstposten Z. Y. (H., I. und J.) bei der Antragsgegnerin umgesetzt. Am 14. März 2022 schrieb die Antragsgegnerin den nach A 15 NBesG bewerteten Dienstposten Leiter*in (m/w/d) für den Z. F. mit der Kennung G. intern und extern aus. Unter dem 3. April 2022 bewarb sich die Antragstellerin auf diesen Dienstposten.

3

Mit Verfügung vom 6. Juli 2022 leitete die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin ein Disziplinarverfahren ein. Die Antragstellerin sei zureichend verdächtig, ein inner- bzw. außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz begangen zu haben, indem sie

4

1. sich nicht entsprechend der allgemeinen Geschäftsanweisung (AGA) rechtzeitig arbeitsunfähig vom Dienst abgemeldet habe,

5

2. sich nicht entsprechend den Vorgaben der AGA bei ihrem Vorgesetzten arbeitsunfähig gemeldet habe,

6

3. in diversen Fällen ihren Dienstpflichten nicht nachgekommen sei und so gegen den Kernbereich des § 34 Beamtenstatusgesetz verstoßen habe,

7

4. ihre ehemaligen Mitarbeiter*innen im Z. X. nicht entsprechend der Dienstanweisung zu fairem Verhalten am Arbeitsplatz behandelt habe und

8

5. durch Falschaussagen gegenüber ihren Vorgesetzten gegen ihre Pflichten aus § 35 Beamtenstatusgesetz verstoßen habe.

9

Im Einzelnen begründete die Antragsgegnerin die Vorwürfe wie folgt:

10

Zu 1. und 2.

11

Die vorletzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei der Antragstellerin bis zum 03. Juni 2022 ausgestellt worden. Sodann sei keine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgt, so dass anzunehmen gewesen sei, dass sie am 4. Juni 2022 wieder zum Dienst erscheine. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Stattdessen habe sich die Antragstellerin erst am 27. Juni 2022 bei einem Kollegen im Z. X. bis einschließlich 8. Juli 2022 weiter arbeitsunfähig gemeldet. Eine entsprechende Krankmeldung sei im Z. X. am 28. Juni 2022 eingegangen. Die entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei am 24. Juni 2022 ausgestellt worden. Folglich sei die Antragstellerin vom 4. Juni bis einschließlich 26. Juni ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und ohne Meldung bei ihrem Vorgesetzten dem Dienst ferngeblieben. Darin liege ein Verstoß gegen Ziffer 3.7 der AGA der Antragsgegnerin, wonach eine Dienstunfähigkeit unverzüglich am ersten Tage unter Angabe der voraussichtlichen Dauer der Leitung der Organisationseinheit (hier Fachdienstleitung Y..3 oder Z.sleitung Y. und nicht der angesprochene Kollege) zu melden sei. Ein ebensolcher Verstoß liege vor, da nicht, wie in der AGA vorgesehen, spätestens am nächsten Werktag eine ärztliche Bescheinigung beigebracht worden sei. Da aber der Dienst auch nach Ablauf der bescheinigten Dienstunfähigkeit nicht aufgenommen worden sei, hätte die Organisationseinheit unverzüglich informiert und eine erneute Bescheinigung vorgelegt werden müssen.

12

Zu 3.

13

Der Antragstellerin werde zur Last gelegt, bei diversen Stellen die Stellenausschreibungen nicht in Gang gebracht oder das Verfahren erheblich verzögert zu haben. Dies habe zu einer deutlichen Mehrbelastung von Bediensteten und zu Fruststration in der Belegschaft gebührt. In Einzelfällen seien durch andauernde Stellenvakanzen Arbeitsvorgänge übersehen worden und hätten neben Mehrkosten zum Teil auch zu erheblichen Bauverzögerungen geführt. Auch Höhergruppierungsanträge von Bediensteten sollen trotz Erinnerung durch das Dezernatsbüro von der Antragstellerin nicht bearbeitet oder weitergeleitet worden sein. Ferner habe die Antragstellerin für ihre Bediensteten keine „Allriss-Zugänge“ geschaffen, obwohl sie hierzu am 14. Oktober 2021 schriftlich durch das Dezernatsbüro aufgefordert worden sei.

14

Trotz mündlicher Absprachen und verschiedener Terminanfragen habe bis heute keine formelle Übergabe der Eigenbetriebsleitung K. an die Antragstellerin erfolgen können, da sie auf entsprechende Anfrage nicht reagiert habe. Auch Anfragen des Generalplaners für die K. wurden nicht oder nur erheblich verspätet beantwortet, was zu Bauzeitverzögerungen und Mehrkosten geführt habe.

15

Eine erforderliche Teilnahme der Antragstellerin an der Sitzung des Kulturausschusses am 18. Januar 2022 sei unterblieben, da die Antragstellerin angeblich EDV-Probleme gehabt habe. Sie habe sich jedoch zu dieser Zeit im Neuen Rathaus befunden, so dass es ein leichtes gewesen wäre, der Sitzung in Präsenz beizuwohnen.

16

Die Geschäftsprozessoptimierung (GPO) des Z.s X. habe mehrfach erheblich gestockt, weil Entscheidungen oder Rückmeldungen von der Antragstellerin nicht oder nur nach mehrmaliger Aufforderung und mit deutlichen zeitlichen Verzögerungen erfolgt seien. Das bereits vor Monaten geforderte Personalentwicklungskonzept sei bis heute nicht vorgelegt worden. Auch verschiedene Schritte der im Rahmen der GPO erarbeiteten Maßnahmen, wie z.B. das Entscheider-Jour-Fix oder das Vier-Fachdienst-Strukturmodell, seien nicht in die Praxis überführt worden. Darüber hinaus seien zahlreiche weitere Anfragen des Dezernates unbeantwortet geblieben, wie die Antragsgegnerin im Einzelnen auflistet.

17

Insgesamt seien durch die an den Tag gelegte Nichtleistung diverse Projekte des Z. X. sowie die GPO erheblich zeitlich zurückgeworfen worden. Durch dieses Verhalten habe die Antragstellerin die ihr aus § 34 BeamtStG obliegende Pflicht, wonach sich Beamtinnen und Beamte mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf zu widmen haben, in ihrem Kern verletzt. In vielen Fällen resultierten hieraus Mehrkosten für den städtischen Haushalt, weshalb zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit aus § 110 NKomVG anzunehmen sei. Als Führungskraft der Antragsgegnerin sei es nach Ziffer 4.2 der AGA die Aufgabe der Antragstellerin gewesen, für eine ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte ihres Aufgabengebietes sowie für eine schnelle, sachlich richtige, zweckmäßige und wirtschaftliche Bearbeitung der Vorgänge und für die Qualitätssicherung Sorge zu tragen. Durch die Nichtleistung der Antragstellerin habe das Aufgabengebiet „L.“ in Gänze einen erheblichen Schaden davongetragen und das Vertrauen der Gesamtverwaltung, aber auch der Politik erschüttert.

18

Zu 4.

19

Die Kommunikation mit einer Vielzahl der Bediensteten durch die Antragstellerin soll nicht adäquat gewesen sein. Es lägen Hinweise vor, dass Mitarbeitenden – auch im Beisein von Dritten – die Fachkompetenz abgesprochen worden sei. Hierbei soll teilweise äußerst unangemessen agiert und reagiert und entweder Druck ausgeübt oder sogar Beschimpfungen ausgesprochen worden sein. Auch verbale Bedrohungen sollen zur Führungskultur der Antragstellerin gehört haben. Die Antragstellerin habe überdies den Bediensteten des Z. X. – trotz anderslautender städtischer Regelungen – die direkte Kommunikation mit dem Dezernatsbüro untersagt. In dem gezeigten Verhalten seien diverse Verstöße gegen die Dienstvereinbarung zu fairem Verhalten am Arbeitsplatz zu sehen. Der fehlende Respekt der Antragstellerin gegenüber den Bediensteten habe zu einem Vertrauensbruch und einem schlechten Arbeitsklima im Z. X. geführt, das zuletzt diverse Umsetzungswünsche und Kündigungen von Bediensteten mit sich gebracht haben solle.

20

Die Antragstellerin solle zudem Telearbeitsanträge von Bediensteten nicht bearbeitet oder sie entgegen den städtischen Regelungen ohne sachliche Gründe abgelehnt haben. Nach den bei der Antragsgegnerin vorliegenden Erkenntnissen habe die Antragstellerin das für mobile Arbeit erforderliche Vertrauen ihren Bediensteten nicht entgegengebracht. Gleichzeitig habe sie jedoch selbst von den Möglichkeiten des mobilen Arbeitens Gebrauch gemacht.

21

Weiter solle die Antragstellerin die gesamte Zeiterfassung für den Z. X. übernommen und hierbei grundlos Nachweise und Dokumentationen von Bediensteten angefordert haben. Dies sei nicht ihre Aufgabe gewesen. Wie der Antragsgegnerin zugetragen worden sei, habe die Antragstellerin hier bei mehreren Bediensteten ohne ersichtlichen Grund Zeiterfassungsbetrug unterstellt. Alle Unterstellungen hätten durch die Bediensteten widerlegt werden können.

22

Auf Weisung der Antragstellerin hin hätten alle Aufträge und Vergaben unabhängig vom Auftragswert über die Antragstellerin laufen sollen. Alle Leistungsverzeichnisse hätten ihr vorgestellt werden sollen und seien von ihr freizugeben gewesen. Dies auch für Bereiche des Z.s X., für welche die Antragstellerin offensichtlich nicht die erforderliche Fachkompetenz besitze. In diesem Verhalten liege ein Verstoß gegen Ziffer 4.2 Abs. 3 der AGA, wonach die Führungskräfte ihren unterstellten Bediensteten bei der Aufgabenerledigung weitgehende Selbständigkeit zu gewähren hätten. Weiterhin zeige sich auch hierin ein Verstoß gegen die Dienstvereinbarung zu fairem Verhalten am Arbeitsplatz.

23

Darüber hinaus müsse im gesamten Bereich der Mitarbeiterführung durch die Antragstellerin zumindest ein Fall von Minderleistung angenommen werden, da das von der Antragstellerin gezeigte Führungsverhalten das Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden des Z.s X. zerstört habe. Diverse Gespräche mit Vorgesetzten und Bediensteten von Querschnittsbereichen wie der Personalreferentin W. hätten keinen Erfolg und keine Einsicht seitens der Antragstellerin gezeigt. Auch ein privates Coaching sei von der Antragstellerin nicht wahrgenommen worden. Auch die Teilnahme an einer Schulungsreihe habe keine Besserung gebracht. Im Ergebnis zeige sich im Bereich der Mitarbeiterführung, dass erhebliche Defizite bestünden und das gezeigte Benehmen nicht den Anforderungen an eine Führungskraft und denen an ein tadelloses Verhalten im Dienst im Sinne des § 34 BeamtStG entspreche.

24

Zu 5.

25

In verschiedenen Gesprächen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen sei immer wieder das Stocken verschiedener Projekte hinterfragt worden. Zum Teil sei dies auch in politischen Gremien geschehen. Die tatsächlichen Gründe, nämlich dass diverse Projekte und Aufgaben auf die Entscheidung der Antragstellerin warteten, seien hierbei aber nicht kommuniziert worden. Insofern müsse die Antragsgegnerin davon ausgehen, dass die Antragstellerin ihrer Informationspflicht gegenüber ihren Vorgesetzten aus § 35 BeamtStG nicht nachgekommen sei.

26

Erstmals am 23. August 2022 per E-Mail und sodann mit Bescheid vom 2. September 2022 lehnte es die Antragsgegnerin ab, die Antragstellerin in das Auswahlverfahren für die Stelle Leitung des Z.s X. F. einzubeziehen. Die Leistung und das Verhalten der Antragstellerin stünden dem Grundsatz der Bestenauslese entgegen, weshalb eine Abwägung dieser sich widerstrebenden Interessen erforderlich sei. Für die Leitung des Z.s X. F. werde eine Führungspersönlichkeit gesucht, was persönlichen und charakterlichen Eigenschaften eine besondere Bedeutung zukommen lasse. Gegen die Antragstellerin sei aber ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden, da zugleich mehrere Dienstvergehen hinreichend wahrscheinlich seien. Die der Antragstellerin zur Last gelegten Vorwürfe seien nicht etwa haltlos oder unbegründet, sondern ließen ernsthafte Zweifel an der persönlichen Eignung sowie der fachlichen Leistung der Antragstellerin zum Bekleiden der strittigen Stelle zu. Die Antragsgegnerin würde sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten setzen, wenn sie die Antragstellerin vor der abschließenden Klärung des disziplinarischen Vorwurfs erneut auf einen Beförderungsdienstposten umsetzen würde und ihr so die Eignung für nicht etwa eine beliebige, sondern eben auch noch für die höherwertige Verwendung bejahte, die neben der Einleitung des Disziplinarverfahrens auch Anlass zur Umsetzung sowie zur Nichtbeförderung der Antragstellerin gegeben habe. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält dieser Bescheid nicht.

27

Am 5. September 2022 hat die Antragstellerin bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

28

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, das am 6. Juli 2022 gegen sie eingeleitete Disziplinarverfahren sei kein Grund, sie nicht in das Auswahlverfahren einzubeziehen. Der gegen sie gerichtete Verdacht auf Begehung eines Dienstvergehens sei offensichtlich unbegründet. Die Unterstellungen entsprächen nicht den Tatsachen. Ferner sei die Einleitung des Disziplinarverfahrens missbräuchlich. Die Pflegesituation ihrer Mutter sei der Antragsgegnerin bekannt. Trotzdem sei ihr insofern keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Es gäbe schon seit längerem Konfliktlösungsgespräche zwischen ihr und der Antragsgegnerin. Indem die Antragsgegnerin nunmehr ein Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet habe, verstoße sie gegen ihre Fürsorgepflicht.

29

Die Antragstellerin beantragt,

30

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig – bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache – zu verpflichten, die Antragstellerin in das Auswahlverfahren mit der Kennung G. einzubeziehen.

31

Die Antragsgegnerin beantragt,

32

den Antrag abzulehnen.

33

Sie tritt dem antragstellerischen Vorbringen mit dem Argument entgegen, die Erprobung der Antragstellerin auf dem Dienstposten der Z.sleitung X. F. habe nicht festgestellt werden können. Der Ausschluss der Antragstellerin aus dem Auswahlverfahren sei gerechtfertigt, weil gegen diese ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei, das weder missbräuchlich noch offensichtlich unbegründet sei.

34

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

35

Der Antrag der Antragstellerin,

36

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, die Antragstellerin in das Auswahlverfahren mit der Kennung G. einzubeziehen,

37

hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1.)

38

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin noch keine Klage in der Hauptsache erhoben hat. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 02. September 2022, mit dem sie die Einbeziehung der Antragstellerin in das Auswahlverfahren zur Besetzung des Dienstpostens Z. X. mit der Kennung G. abgelehnt hat, enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass ein Rechtsbehelf gemäß § 58 Abs. 2 VwGO noch binnen eines Jahres nach Bekanntgabe dieses Bescheides erfolgen könnte.

2.)

39

Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Antragstellerin einen Anspruch auf Einbeziehung in das o.a. Auswahlverfahren nicht glaubhaft gemacht hat. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass durch die Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens die Verwirklichung eigener Rechte vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin nicht in das Auswahlverfahren einzubeziehen, verletzt nicht den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch der Antragstellerin auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über ihre Bewerbung (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch). Die Kammer teilt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 28.05.2021 -2 VR 1/21-, juris Rn. 15 ff.; ebenso, OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.02.2008 -5 ME 352/07-, juris Rn. 3 und 9), in der es heißt:

40

„a) Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dies bedeutet, dass öffentliche Ämter nach Maßgabe des Bestenauslesegrundsatzes zu besetzen sind. Der Grundsatz gilt unbeschränkt und vorbehaltlos. Er dient primär dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Ämter des öffentlichen Dienstes und daneben auch dem berechtigten Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Dem trägt er dadurch Rechnung, dass er grundrechtsgleiche Rechte auf eine ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Dezember 2008 – 2 BvR 2571/07 – NVwZ 2009, 389 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1.13 – BVerwGE 147, 20 Rn. 20). Art. 33 Abs. 2 GG gibt die entscheidenden Maßstäbe für die Bewerberauswahl abschließend vor. Eine Auswahlentscheidung kann grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen. Dabei erfasst die Eignung im engeren Sinne insbesondere Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind. Der in Ausfüllung des Begriffs der Eignung ebenso wie der Begriffe Befähigung und fachliche Leistung dem Dienstherrn eröffnete Beurteilungsspielraum unterliegt von Verfassungs wegen einer nur begrenzten gerichtlichen Kontrolle (BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Mai 2013 – 2 BvR 462/13 – IÖD 2013, 182 <183> m.w.N.).

41

b) Davon ausgehend ist in der ständigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Dienstherr berechtigt ist, einen Beamten für die Dauer eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens wegen der damit begründeten Zweifel an dessen Eignung von einer möglichen Beförderung auszunehmen. Der Dienstherr würde sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen, wenn er einen solchen Beamten vor der abschließenden Klärung des disziplinarischen Vorwurfs beförderte und damit die Eignung des Betreffenden für eine höherwertige Verwendung bejahte, obwohl er zuvor mit der Einleitung disziplinarischer Ermittlungen zu erkennen gegeben hat, dass Anlass besteht, die Amtsführung oder das persönliche Verhalten des Betreffenden in seinem bisherigen Status zu beanstanden. Sachwidrig ist der Ausschluss des Beamten aus dem Beförderungsauswahlverfahren allerdings dann, wenn angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe offensichtlich kein Anlass dafür gegeben war, in einem Disziplinarverfahren zu prüfen, ob er seine Dienstpflichten verletzt hat, oder wenn das Disziplinarverfahren aus anderen Gründen missbräuchlich eingeleitet wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1987 – 6 C 32.85 – Buchholz 236.1 § 31 SG Nr. 21 S. 3, Beschluss vom 24. September 1992 – 2 B 56.92 – Buchholz 236.1 § 42 SG Nr. 1 S. 1; OVG Weimar, Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 2 EO 781/06 – juris Rn. 35; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Februar 2008 – 5 ME 504/07 – juris Rn. 3; OVG Magdeburg, Beschluss vom 3. März 2014 – 1 M 18/14 – juris Rn. 7 m.w.N.; OVG Bautzen, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 2 B 455/13 – juris Rn. 21, 25; OVG Münster, Beschluss vom 24. März 2016 – 1 B 1110/15 – RiA 2016, 222 <223> m.w.N.; OVG Koblenz, Beschluss vom 10. August 2017 – 2 B 11299/17 – NVwZ 2017, 1556 Rn. 5 m.w.N.; VGH Kassel, Beschluss vom 8. Mai 2018 – 1 B 2211/17 – ZBR 2019, 52 <53> m.w.N.). Gleiches gilt, wenn bei Durchführung des Auswahlverfahrens schon erkennbar ist, dass das Disziplinarverfahren kurz vor der Einstellung steht, oder wenn ersichtlich ist, dass es mit einer Einstellung enden müsste (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Dezember 2007 – 5 ME 351/07 – RiA 2008, 184 <185>; OVG Bautzen, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 2 B 455/13 – juris Rn. 25; OVG Münster, Beschluss vom 24. März 2016 – 1 B 1110/15 – RiA 2016, 222 <223>).

42

c) Gemessen daran ist die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden, den Antragsteller wegen des gegen ihn laufenden Disziplinarverfahrens nicht in den Leistungsvergleich der für das Beförderungsamt grundsätzlich für geeignet gehaltenen Bewerber einzubeziehen.“

43

Der gegen die Antragstellerin gerichtete Verdacht eines Dienstvergehens war weder im Zeitpunkt der Entscheidung vom 02. September 2022 noch im Zeitpunkt der jetzigen gerichtlichen Entscheidung offenkundig haltlos, willkürlich oder missbräuchlich. Vielmehr ist die Aufnahme disziplinarischer Ermittlungen gerechtfertigt und begründet den im Bescheid vom 02. September 2022 dokumentierten Schluss, dass Zweifel an der persönlichen Eignung der Antragstellerin für das angestrebte Beförderungsamt bestehen, das mit Führungsfunktionen verbunden ist.

44

Gemäß § 18 Abs. 1 NDiszG hat die Disziplinarbehörde die Pflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Gemäß § 2 Abs. 1 NDiszG gilt dieses Gesetz für die Verfolgung von Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Nach § 47 Abs. 1 BeamtStG begehen Beamtinnen und Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Als von der Antragstellerin verletzte Dienstpflichten nennt die Antragsgegnerin in ihrer Eröffnungsverfügung des Disziplinarverfahrens die §§ 34 Abs. 1 und 35 Abs. 1 BeamtStG. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG haben sich Beamtinnen und Beamte mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift haben sie die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz BeamtStG haben Beamtinnen und Beamte ihre Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen; Satz 2 der Bestimmung regelt die Verpflichtung, deren dienstlichen Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Nach § 35 Abs. 2 BeamtStG haben Beamtinnen und Beamten bei organisatorischen Änderungen dem Dienstherrn Folge zu leisten.

45

Gemessen hieran kann die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Antragstellerin nicht als offenkundig haltlos, willkürlich oder missbräuchlich bezeichnet werden. Die Disziplinarverfügung vom 6. Juli 2022 listet eine Reihe von Verstößen gegen Dienstpflichten auf, die aktenkundig dokumentiert sind. Zu nennen sind insbesondere Verstöße gegen die für die Antragstellerin verbindliche Allgemeine Geschäftsanweisung für die Stadtverwaltung C-Stadt vom September 2008 in der Fassung vom 15. Juni 2021 (AGA). Die Antragstellerin hat den Empfang dieser AGA am 01. April 2021 bei Dienstantritt bestätigt; die Änderung ist ihr durch Rundschreiben des Oberbürgermeisters vom 31. Mai 2021 bekannt gemacht worden. Die AGA entfaltet ihr gegenüber also verbindliche Wirkung

46

Die Antragsgegnerin soll nach der Einleitungsverfügung gegen Abschnitt 3.7 AGA verstoßen haben. Danach ist von einer Dienst-/Arbeitsunfähigkeit die Führungskraft am ersten Tag zu üblichem Dienstbeginn zu informieren. Nach Absatz 2 der Regelung haben die Bediensteten, wenn die Dienst-/Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert, spätestens am nächsten Arbeitstag dort eingehend eine ärztliche Bescheinigung direkt beim Fachdienst Personalwirtschaft vorzulegen. Die Einleitungsverfügung vom 06. Juli 2022 legt in Abschnitt 1.) und 2.) dar, weshalb der Antragstellerin ein Verstoß hiergegen vorgeworfen wird. Der Vorwurf ist durch Tatsachen untermauert. Offen bleiben kann an dieser Stelle, ob die Antragstellerin zu Recht mehrfachen Aufforderungen der Antragsgegnerin sich beim Amtsarzt vorzustellen, keine Folge geleistet hat, weil sie nach ihrem Vortrag krankheitsbedingt verhindert gewesen ist.

47

Weiter soll die Antragstellerin nach der Einleitungsverfügung mehrfach und durch verschiedene Handlungen und Unterlassungen gegen Abschnitt 4.2. AGA verstoßen haben. Nach Absatz 2 dieser Regelung sind die Führungskräfte – zu denen die Antragstellerin gehört – für eine ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte ihres Aufgabenbereichs sowie für eine schnelle, sachlich richtige, zweckmäßige und wirtschaftliche Bearbeitung der Vorgänge und für die Qualitätssicherung verantwortlich. Die Einleitungsverfügung listet in Abschnitt 3.) und 4.) vielfache Verstöße gegen diese Regelung auf. Die einzelnen Vorwürfe sind durch Aussagen von Vorgesetzten und Mitarbeitern der Antragstellerin dokumentiert (vgl. Beiakten 002). Sie können daher nicht als haltlos angesehen werden.

48

Dokumentiert durch Vermerke und Aussagen verschiedener Kolleg*innen ist ebenfalls, dass die Antragstellerin ihren Mitarbeiter*innen mehrfach nicht mit dem gebotenen Respekt gegenübergetreten ist. Hierin kann ein Verstoß gegen Abschnitt 1.3 AGA i.Vm. der Richtlinie über respektvolles und partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz zu sehen sein. Auch dieser Vorwurf ist nicht haltlos.

49

Schließlich ist dokumentiert, dass die Antragstellerin die in ihrem Z. stattgehabte Organisationsneustrukturierung nicht mit dem gebotenen Einsatz vorangebracht habe. Es finden sich insoweit Vermerke ihrer damaligen Dezernatsleitung wie auch des externen Beraters (Beiakten 002). Hierin kann ein Verstoß gegen § 35 Abs. 2 BeamtStG liegen.

50

Insgesamt kommt die Kammer deshalb zu dem Schluss, dass es sachliche Anknüpfungspunkte für das eingeleitete Disziplinverfahren gibt. Ob alle Vorwürfe durchgreifen, oder gar alle von der Antragstellerin entkräftet werden können, spielt für dieses Verfahren keine Rolle. Diese Entscheidung muss dem Disziplinarverfahren vorbehalten bleiben. Es ist jedenfalls derzeit nicht ersichtlich, dass das Verfahren mit einer Einstellung enden muss und deshalb der Grund für die angenommenen Zweifel an der Eignung der Antragstellerin nicht bestanden hat.

51

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

52

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 52 Abs. 1 und 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 (sechsfacher Jahreswert des angestrebten Endgrundgehalts). Diesen Wert halbiert das Gericht, weil es bei der Einbeziehung in das Auswahlverfahren um eine notwendige, aber noch nicht hinreichende (Vor-) entscheidung für die Frage der Dienstpostenbesetzung geht.

 


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Original Quelle Niedersachsen.de

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