Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Hannover 1. Kammer | 1 A 6477/21 | Urteil | Wahleinspruch gegen Bürgermeister- und Ratswahl wegen Verteilung von Schokolade an Wahlvorstände

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VG Hannover 1. Kammer,
Urteil vom
14.03.2022, 1 A 6477/21, ECLI:DE:VGHANNO:2022:0314.1A6477.21.00

§ 46 Abs 1 KomWG ND, § 46 Abs 3 KomWG ND

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten betreffend die Direktwahl des Bürgermeisters und die Wahl des Rates der Stadt A-Stadt am 12. September 2021; er macht insbesondere geltend, dass die Wahl vom Beigeladenen unzulässig beeinflusst worden sei.

2

Zur Direktwahl des Bürgermeisters am 12. September 2021 standen jeweils ein Kandidat der F., der G. – der Beigeladene – und der H. zur Wahl; zudem trat der Kläger als Einzelbewerber an. Am frühen Nachmittag des Wahltags suchte der Beigeladene in einem Zeitrahmen von insgesamt etwa einer Stunde elf Wahllokale kurz auf und übergab vor oder im Wahllokal den Wahlhelfern eine Packung „I. Finest Selection Große Vielfalt“. Zudem sprach er seinen Dank für die ehrenamtliche Arbeit der Wahlhelfer aus. Bereits am Vormittag des Wahltages hatte er dasselbe in dem Wahllokal getan, das er zur eigenen Stimmabgabe aufgesucht hatte. Insgesamt gab es 18 Wahllokale und Wahlvorstände, davon 12 Wahllokale für die Präsenzwahl. Die Briefwahllokale hatte der Beigeladene nicht aufgesucht; in diesen wurden vorbereitende Arbeiten ab 16:00 Uhr durchgeführt und die Öffnung für die Öffentlichkeit erfolgte um 18:00 Uhr. Briefwahlunterlagen wurden am Wahltag im Rathaus entgegengenommen.

3

Von den 15.629 Wahlberechtigten wurden nach dem vom Gemeindewahlausschuss festgestellten Wahlergebnis bei der Direktwahl des Bürgermeisters insgesamt 10.641 gültige Stimmen abgegeben. Von diesen entfielen 5.651 auf den Beigeladenen, 2.819 auf die Kandidatin der F., 1.718 auf den Kandidaten der H. und 453 auf den Kläger. Bei der Wahl des Rates entfielen bei 10.644 gültigen Stimmzetteln und 31.048 gültigen Stimmen 13.142 (42,33 %) auf die G., 7.373 (23,75 %) auf die F., 6.146 (19,80 %) auf die H., 1.730 (5,57 %) auf die J., 716 (2,31 %) auf K., 513 (1,65 %) auf L. und 1.428 (4,60 %) auf die M.. Die Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte im amtlichen Mitteilungsblatt der Stadt A-Stadt am 29. September 2021.

4

Mit bei der Stadt A-Stadt am 7. Oktober 2021 eingegangenem Schreiben vom 4. Oktober 2021 wandte sich der Kläger an den noch amtierenden alten Bürgermeister – welcher zugleich Gemeindewahlleiter war – und wies darauf hin, dass ihm zugetragen worden sei, dass sich der Beigeladene bei Wahlvorständen mit Pralinen für deren Arbeit bedankt habe. Es stelle sich die Frage, ob es sich hierbei um eine illegale Wahlbeeinflussung gehandelt habe. Wahlkampf sei am Wahltag in den Wahllokalen und deren unmittelbarer Umgebung verboten. Es werde um Nachfrage bei den Wahlvorständen und Wahlhelfern sämtlicher Wahllokale gebeten. Sollten sich die Anschuldigungen erhärten, werde um eine Neuansetzung sowohl der Bürgermeisterwahl als auch der Kommunalwahl gebeten. Der Bürgermeister antwortete unter dem 7. Oktober 2021, dass der Bitte um Prüfung nachgegangen werde und alle 18 Wahllokale bzw. Wahlvorstände abgefragt würden. Ob sich für den Kläger dann ein Wahleinspruchsgrund ableiten lasse, könne noch nicht beurteilt werden; der gesamte Vorgang bedürfe im Falle eines Wahleinspruchs einer fundierten rechtlichen Prüfung.

5

Der Beigeladene nahm auf vorherige Bitte des Bürgermeisters unter dem 10. Oktober 2021 dahingehend Stellung, dass er in den Wahllokalen jeweils eine weder veränderte noch beschriftete Packung „I. “ als Anerkennung an die Wahlhelfer überreicht und sich für die ehrenamtliche Arbeit bedankt habe. Eine Kontaktaufnahme mit Wählern sei nicht erfolgt. Beim Wahllokal des Wahlbezirks 9 habe er die Packung einer als Wahlhelferin tätigen städtischen Mitarbeiterin bereits auf dem Vorplatz übergeben. Vor dem Wahllokal des Wahlbezirks 11 habe sich eine Schlange gebildet, weshalb er die Packung am Hinterausgang des Wahllokals einer Wahlhelferin überreicht habe. Er habe Freizeitkleidung getragen und es habe keine Hinweise auf seine Kandidatur oder Parteizugehörigkeit gegeben.

6

Unter dem 13. Oktober 2021 wurde dem Kläger der fristgerechte Eingang seines Wahleinspruchs vom 7. Oktober 2021 bestätigt. Zudem wurde er auf die anstehende Ratssitzung vom 4. November 2021 und darauf hingewiesen, dass er in der Sitzung gehört werden könne. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass er es berufsbedingt nicht schaffen werde, zu Beginn der Ratssitzung zu erscheinen, wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, seine Auffassung schriftlich zu erläutern. Der Kläger erläuterte unter dem 29. Oktober 2021, dass es ihm völlig unverständlich sei, wie sich ein Kandidat herausnehmen könne, während der laufenden Abstimmung in Zeiten von Corona sämtliche geöffneten Wahllokale zu besuchen und Schokolade zu verteilen. Es sei nicht Aufgabe eines politischen Kandidaten, sich in allen Wahllokalen zu zeigen, um sich „zu bedanken“. Der Beigeladene sei mit Sicherheit auch dadurch motiviert worden, den ein oder anderen potentiellen Wähler zu treffen, um diesen zu Kreuzen an der richtigen Stelle zu motivieren. Es sei auch zu prüfen, wer aus den Reihen der G. davon gewusst habe und gegebenenfalls mit dem Beigeladenen mitgefahren oder in Eigenregie Präsente überreicht habe. Dies habe offensichtlich Tradition und die Kandidaten müssten Ehrenerklärungen abgeben. Es sei davon auszugehen, dass die G. durch die Präsenz des Beigeladenen in den Wahllokalen zwei bis drei Ratsstimmen gewonnen habe, die sonst anderen Parteien zugefallen wären.

7

Mit Schreiben an die Vorstände der einzelnen Wahllokale vom 14. Oktober 2021 bat der Bürgermeister unter Hinweis auf einen ihm vorliegenden Wahleinspruch um Stellungnahme, wie das Eintreffen und der Aufenthalt des Beigeladenen im Wahllokal gewesen sei. In den Rückäußerungen wurde die Dauer des Aufenthalts des Beigeladenen im Wahllokal zwischen 10 Sekunden bis maximal 2 Minuten eingeschätzt. Eine Kontaktaufnahme mit Wählern wurde verneint oder nicht beobachtet. In keinem der Wahllokale wurde die Schokolade zurückgewiesen; mehrfach wurde auf einen ohnehin von der Stadt zur Verfügung gestellten Korb mit Süßigkeiten hingewiesen. Teilweise wurde von den Wahlhelfern nicht oder erst später registriert, dass die Packung „I. “ vom Bürgermeisterkandidaten überreicht wurde, weil sich der Beigeladene nicht namentlich vorgestellt habe.

8

Dem Beigeladenen wurde unter Bezugnahme auf sein Anhörungsrecht nach § 47 Abs. 2 NKWG Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt. Er äußerte sich mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 ergänzend dahingehend, dass er zu keinem Zeitpunkt versucht habe, wählende Personen in den Wahlräumen oder vor den Wahllokalen zu beeinflussen. In den Wahllokalen hätte er auch aufgrund des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl anwesend sein dürfen; dies stelle keine Beeinflussung wählender Personen dar. Wenn ein Rechtsverstoß vorgelegen hätte, hätte dieser das Wahlergebnis nur unwesentlich beeinflusst. Es hätten nur wenige Wähler von seiner Handlung überhaupt Kenntnis erlangen können.

9

Der Beklagte beschloss in seiner Sitzung am 4. November 2021, die Wahleinsprüche des Klägers als unbegründet zurückzuweisen. Die Wahlprüfungsentscheidung wurde dem Kläger in Gestalt eines Bescheides der Stadt A-Stadt – Rat als Wahlprüfungsorgan – vom 11. November 2021 bekanntgegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine zwar vom Kläger nicht eindeutig behauptete, aber mitzuprüfende Beeinflussung der in den Wahllokalen tätigen Wahlvorstände und eine daraus resultierende Wahlfälschung ausscheide. Wahlhelfer unterlägen der Pflicht zur Unparteilichkeit und Verschwiegenheit; eine Manipulation bei der Auszählung des Wahlergebnisses sei im höchsten Maße unwahrscheinlich bis unmöglich. Eine rechtswidrige Beeinflussung der Wählenden und ein Verstoß gegen § 33 Abs. 2 NKWG lägen nicht vor. Es seien keine Aktionen zur Wählerbeeinflussung erfolgt. Ein direkter Kontakt zu den Wählenden sei nicht gesucht worden; (partei-)politische Werbeträger seien nicht vorhanden gewesen. Sowohl das Gespräch als auch die Präsentübergabe hätten sich an die Wahlhelfer gerichtet. Dank und Anerkennung gehörten zu regelmäßigen Vorkommnissen im Wahllokal. Direktwahlen sorgten unweigerlich auch für eine gewisse Popularität der Kandidierenden, sodass Höflichkeiten oder aufmerksames Verhalten teilweise gesellschaftlich sogar erwartet würden. Auch wenn der begrenzt öffentlich wahrnehmbare Dank im Wahllokal eine auf der Direktwahlkandidatur basierende Komponente aufweise, so handele es sich nicht um eine Maßnahme, mit der die politische Meinungsbildung der anwesenden Wähler beeinflusst worden sei. Hinsichtlich der reinen Vermutungen des Klägers, dass jemand aus den Reihen der G. von der Übergabe der Schokolade gewusst habe oder in Eigenregie Präsente überreicht habe, sei schon die Zulässigkeit für einen Einspruch nicht gegeben.

10

Der Kläger hat am 10. Dezember 2021 Klage erhoben. Nach dem Krieg hätten amerikanische Soldaten durch das Verteilen von Bonbons und Schokolade Sympathien erhalten wollen. Der Beigeladene habe ähnlich gehandelt, was eine unzulässige Beeinflussung von potentiellen Wählern sowohl aus den Reihen des Wahlvorstandes als auch der zu dem Zeitpunkt anwesenden Wähler darstelle. Der Beigeladene sei durch hunderte von Wahlplakaten sehr bekannt gewesen, es sei nicht möglich gewesen, den Kandidaten der G. nicht zu kennen oder ihn im Wahllokal nicht zu erkennen. Bei den pandemiebedingt langen Schlangen vor den Wahllokalen sei es unwahrscheinlich, dass die Geste des Beigeladenen verborgen geblieben wäre; das Wahlverhalten der anwesenden Personen sei zugunsten des Beigeladenen und der G. beeinflusst worden. Der Beigeladene habe eine präsente Wahlwerbung für sich verfolgt, die die Chancengleichheit anderer Wahlbewerber beeinträchtigt habe. Ihm – dem Kläger – sei von einem Wahlhelfer berichtet worden, dass der Beigeladene alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe. Er sei als Bürgermeisterkandidat wahrgenommen worden. Kein anderer Kandidat habe diese Aufmerksamkeit gesucht. Die endgültige Entscheidung bei einer Wahl werde bekanntlich immer erst in der Wahlkabine getroffen. Die Sorge um die Wahlhelfer hätte sich sicherlich nicht negativ auf das Wahlverhalten ausgewirkt; auch könne man sich weitere Multiplikatoren in Form von Gesprächen innerhalb der Familie oder zwischen Freunden am Wahltag vorstellen, bei denen über das Erlebte im Wahllokal berichtet worden sei. Der Verstoß habe sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt. Gehe man von einer direkten Beeinflussung von 30 Wählern pro Wahllokal aus, hätte es rechnerisch nicht zu einer absoluten Mehrheit des Beigeladenen gereicht und die G. hätte im Rat ein bis zwei Sitze weniger. Eine Stichwahl am 26. September 2021 wäre völlig ergebnisoffen gewesen; die G. hätte in A-Stadt bei der Bundestagswahl ca. 40,5 % verloren und die F. 30 % gewonnen. Wahlempfehlungen der H. und seiner Person hätten die Bürgermeisterwahl mitentschieden. Ein weiterer Grund für die Beanstandung der Kommunalwahl sei, dass die G. bereits am 11. Juli 2021 mit der Plakatierung im Stadtgebiet begonnen habe, während sich alle anderen Parteien an das Startdatum 13. Juli 2021 gehalten hätten. Der Beigeladene sei durch die vermehrt an den besten Standorten platzierten Wahlplakate omnipräsent gewesen.

11

Der Kläger beantragt,

12

den Beklagten unter Aufhebung seiner am 4. Oktober 2021 beschlossenen und unter dem 11. November 2021 als Bescheid umgesetzten Wahlprüfungsentscheidung zu verpflichten, die am 12. September 2021 durchgeführten Wahlen zum Bürgermeister und zum Rat der Stadt A-Stadt für ungültig zu erklären.

13

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,

14

die Klage abzuweisen.

15

Der Beklagte weist darauf hin, dass der erstmals mit der Klageschrift erhobene Einwand des Klägers, die G. habe zu früh mit der Plakatierung begonnen, präkludiert sei. Was den Vorwurf der unzulässigen Beeinflussung durch Verteilung von Pralinen betreffe, sei die Stellungnahme des Beigeladenen von allen Wahlvorständen bestätigt worden. Ein eingeholtes Rechtsgutachten sei zu dem Ergebnis gelangt, dass der Wahleinspruch zwar zulässig, aber unbegründet sei. Dafür, dass die Wahlvorstände durch die Sachgeschenke zu Wahlmanipulationen beeinflusst worden seien, bestünden nicht die geringsten Anzeichen. Soweit der Kläger die Vermutung angestellt habe, dass wählende Personen den Beigeladenen als Kandidaten erkannt, bei der Überreichung des „Dankeschöns“ beobachtet und deshalb spontan solche Sympathien für ihn entwickelt hätten, dass sie ihm bzw. seiner Partei ihre Stimme „geschenkt“ hätten, erscheine dies lebensfremd und stehe im Widerspruch zu den Stellungnahmen des Beigeladenen und der Wahlvorstände. Der Beigeladene habe in den Wahllokalen keinen „großen Auftritt“ gehabt. Die bloße Anwesenheit des Beigeladenen stelle keinen Wahlverstoß dar, da Wahlen öffentlich seien. Es könne zudem eindeutig nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein unterstellter Wahlfehler auf die Sitzverteilung in der Vertretung und/oder das Ergebnis der Direktwahl des Bürgermeisters ausgewirkt habe. Es liege deutlich außerhalb der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit, dass der Beigeladene durch sein Verhalten 330 Stimmen für sich gewonnen habe. Entsprechendes gelte für die Wahl zum Rat. Wenn die vom Kläger unterstellte Auswirkung einer Beeinflussung tatsächlich stattgefunden hätte, müssten die Ergebnisse aus den zwölf Wahllokalen zugunsten des Beigeladenen bzw. der G. von den Ergebnissen der Stimmauszählung der sechs Briefwahlvorstände abweichen, was nicht zu erkennen sei.

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Der Beigeladene macht geltend, dass nicht fraglich sei, ob die Aufmerksamkeitsgeschenke, die an die Wahlvorstände adressiert gewesen seien, „geschickt“ gewesen seien, sondern ob darin ein Rechtsverstoß zu erblicken sei. Es sei nicht seine Absicht gewesen, die Amtsausübung der Wahlvorstände in irgendeiner Weise zu beeinflussen; es gäbe auch keine Hinweise darauf, dass die neutrale, unparteiische, gesetzeskonforme Ausübung der Wahlvorstandsämter beeinflusst worden wäre. Zentrales Element des § 33 Abs. 2 NKWG sei der Tatbestand der Beeinflussung, der allein durch die Anwesenheit des Wahlbewerbers in bzw. in der Nähe des Wahllokals nicht erfüllt sei. Der Beigeladene sei kein „lebendes Wahlplakat“ gewesen. Selbst bei einem unterstellten Wahlrechtsverstoß spreche die Lebenserfahrung eindeutig gegen eine Ergebnisrelevanz. Der Beigeladene habe mit deutlichem Abstand bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht, der „Stichwahlabstand“ betrage 330 Stimmen. Dass die „Danksagungsaktion“, bei der er sich lediglich wenige Minuten im jeweiligen Wahllokal aufgehalten habe, ausgereicht hätte, qualitativ und quantitativ das Wahlverhalten von 330 Wählern zu beeinflussen, liege außerhalb jeglicher Lebenserfahrung und Wahrscheinlichkeit. So viele Wähler hätten die Anwesenheit des Beigeladenen nicht wahrgenommen und sich in ihrem Wahlverhalten beeinflussen lassen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

19

Die gegen den Beklagten gerichtete Verpflichtungsklage des Klägers ist zwar statthaft (vgl. zur richtigen Klageart einer Wahlprüfungsklage: Nds. OVG, Urt. v. 26.03.2008 – 10 LC 203/07 -, juris Rn. 22; Urt. d. Kammer v. 09.02.2016 – 1 A 12763/14 -, juris Rn. 33;

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zu den früher vertretenen Sichtweisen: Thiele/Kamlage, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 5. Aufl., § 49 Rn. 4 m. w. N.) und auch ansonsten zulässig; insbesondere ist der Kläger unabhängig von einer subjektiven Rechtsposition nach § 49 Abs. 2 NKWG als Wahleinspruchsführer, dem die Wahlprüfungsentscheidung zugestellt wurde, klagebefugt (vgl. zur Klagebefugnis: Thiele/Kamlage, a. a. O., § 49 Rn. 7).

21

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Wahlen zum Bürgermeister und zum Rat der Stadt A-Stadt für ungültig erklärt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat den – angenommenen – Wahleinspruch des Klägers mit seiner Wahlprüfungsentscheidung vom 4. November 2021 in Gestalt des Bescheides vom 11. November 2021 im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Nach § 48 Abs. 1 NKWG wird ein Wahleinspruch zum einen zurückgewiesen, wenn er unzulässig ist, zum anderen, wenn er zulässig, aber unbegründet ist (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 NKWG) oder, wenn er zwar zulässig und begründet ist, aber der Rechtsverstoß auch im Zusammenhang mit anderen Rechtsverstößen das Wahlergebnis nicht oder nur unwesentlich beeinflusst hat (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG).

22

Die Kammer geht schon davon aus, dass der Kläger keinen zulässigen Wahleinspruch erhoben hat; an die vom Beklagten in seiner Wahlprüfungsentscheidung getroffene Feststellung, dass ein Wahleinspruch zulässig erhoben worden sei, ist die Kammer nicht gebunden. Unabhängig davon stellt sich der von der Beklagten angenommene Wahleinspruch aber auch als unbegründet dar. Ein Wahlfehler wegen eines Verstoßes gegen Wahlvorschriften oder in Gestalt einer unzulässigen Beeinflussung der beiden Wahlen liegt nicht vor. Selbst bei anderer Betrachtungsweise hätte ein Wahlfehler die Ergebnisse der Wahlen jedenfalls nicht wesentlich beeinflusst. Im Einzelnen:

1.

23

Es fehlt bereits an einem zulässigen Wahleinspruch; der Kläger hat einen solchen entgegen der – für das Gericht nicht maßgeblichen – Einschätzung des Beklagten nicht erhoben.

24

a) Nach § 46 Abs. 3 Satz 1 NKWG ist ein Wahleinspruch i. S. d. § 46 Abs. 1 Satz 1 NKWG bei der zuständigen Wahlleitung innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses mit Begründung schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Das Wahlprüfungsrecht ist gerade auch im Interesse des Bestandsschutzes einer durchgeführten Wahl einer besonderen Form- und Friststrenge unterworfen (vgl. §§ 52a, 52b NKWG). So erfordert der schriftformgebundene Wahleinspruch nach § 52a NKWG eine persönliche und handschriftliche Unterzeichnung. Die Wahleinspruchsfrist ist nach § 52b NKWG eine starre Zweiwochenfrist, bei der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist. Diese strengen Regelungen, die als staatsorganisationsrechtliche Bestimmungen auch auf das gerichtliche Wahlprüfungsverfahren „durchschlagen“ (vgl. Urt. d. Kammer v. 21.06.2017 – 1 A 454/17 -, juris Rn. 15 ff.), implizieren, dass ein Wahleinspruch innerhalb der Zweiwochenfrist eindeutig und unbedingt erhoben werden muss. Dazu muss hinreichend deutlich werden, dass ein Einspruchsberechtigter den Einspruch selbst erheben und nicht lediglich die Erhebung eines Einspruchs durch die Wahlleitung anregen will. Ohne ordnungsgemäße Erhebung eines Wahleinspruchs genießt das Bestandsinteresse an der durchgeführten Wahl nach den gesetzlichen Wertungen Vorrang vor der Korrektur möglicher Wahlfehler im Wahlprüfungsverfahren.

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b) Einen solchen eindeutigen und unbedingten Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahlen zum Bürgermeister und zum Rat hat der Kläger nicht fristgerecht erhoben. Mit seinem an den Bürgermeister gerichteten Schreiben vom 4. Oktober 2021 hat der Kläger nämlich nicht eindeutig einen Wahleinspruch angebracht, sondern zunächst um Aufklärung bezüglich der ihm zugetragenen „Schokoladenverteilung“ gebeten. Lediglich für den Fall, dass sich die Anschuldigungen erhärten sollten, wurde „hilfsweise“ um „Neuansetzung“ der am 12. September 2021 durchgeführten Wahlen gebeten. Der Begriff „Wahleinspruch“ fand dabei an keiner Stelle Verwendung; das Schreiben liest sich insgesamt so, als hätte sich der Kläger darauf beschränken wollen, den Bürgermeister auf die Umstände aufmerksam zu machen, damit dieser Nachprüfungen anstellt und gegebenenfalls aus eigenem Antrieb die notwendigen Schritte einleitet, um Neuwahlen anzusetzen. Nach dem Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung entsprach dies auch sogar eher den subjektiven Vorstellungen des Klägers, wenngleich nicht diese maßgeblich sind, sondern nach allgemeinen Grundsätzen, wie eine Erklärung aus Sicht eines objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers zu verstehen ist. Der Kläger hat im Verhandlungstermin deutlich gemacht, dass ihm die Dimension des Handelns des Beigeladenen zum Zeitpunkt seines Schreibens an den Bürgermeister noch gar nicht bekannt gewesen sei und er nur von der Schokoladenverteilung in einem Wahllokal Kenntnis gehabt habe. Eine bloße Anregung an den Bürgermeister, der zugleich Gemeindewahlleiter und damit nach § 46 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 NKWG selbst einspruchsberechtigt war, konnte in Anbetracht der vom Kläger thematisierten Unregelmäßigkeit auch durchaus als sinnvoll und ausreichend angesehen werden. Gerade von einem Wahleinspruchsberechtigten, der wie der Kläger selbst als Bürgermeisterkandidat angetreten war, darf nach Auffassung der Kammer erwartet werden, deutlich zu machen, ob er selbst Wahleinspruch erheben oder lediglich dem Gemeindewahlleiter einen Hinweis geben will, damit dieser ggf. aus eigenem Recht Einspruch erhebt. Auch der Gemeindewahlleiter hatte – aus Sicht der Kammer zu Recht – in dem Schreiben des Klägers vom 4. Oktober 2021 offenbar noch keinen Wahleinspruch erblickt. So wurde dem Kläger unter dem 7. Oktober 2021 nicht etwa der Eingang eines Wahleinspruchs bestätigt. Er wurde vielmehr darauf hingewiesen, dass die gewünschte Aufklärung Zeit benötige, die Kommunalaufsicht informiert sei und noch nicht beurteilt werden könne, ob sich ein Wahleinspruchsgrund ableiten lasse; der gesamte Vorgang bedürfe „im Falle eines Wahleinspruches“ einer fundierten rechtlichen Prüfung. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass auch die – nach § 46 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 NKWG ebenfalls einspruchsberechtigte – Kommunalaufsicht informiert worden sei. Der Kläger konnte demgemäß auch nicht subjektiv davon ausgehen, selbst einen Wahleinspruch bereits ordnungsgemäß erhoben zu haben. Vielmehr musste der Kläger für sich auch keinen Handlungsdruck mehr wahrnehmen, wenn er den weiteren Fortgang der Dinge dem Gemeindewahlleiter und der Kommunalaufsicht überlassen wollte. Es hätte ihm nach den Hinweisen vom 7. Oktober 2021 jedenfalls oblegen, deutlich zu machen, dass er selbst einen Wahleinspruch erheben wollte. Eine weitere Äußerung des Klägers innerhalb der nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 13. Oktober 2021 abgelaufenen Wahleinspruchsfrist erfolgte aber nicht. Die unter dem 13. Oktober 2021 datierende und zur Post gegebene Bestätigung des fristgerechten Eingangs des Wahleinspruchs seitens des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung der Stadt A-Stadt lässt schon deshalb keine andere Bewertung zu, weil diese den Kläger vor Fristablauf nicht mehr erreichen konnte.

26

c) Die Kammer ist auch nicht etwa an die im Rahmen der Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vorgenommene Bewertung des Wahleinspruchs als zulässig gebunden. Der Regelungsgehalt der Wahlprüfungsentscheidung der Vertretung beschränkt sich auf die Zurückweisung des Einspruchs und ist nicht in dem Sinne teilbar, dass einzelne Begründungselemente der Entscheidung isoliert in Bestandskraft erwachsen oder angefochten werden könnten. Dieses Verständnis trägt auch dem primär objektivrechtlichen Charakter des Wahlprüfungsverfahrens Rechnung, bei welchem ein Wahleinspruch nur den „Anstoß“ für die gerade im öffentlichen Interesse liegende Wahlprüfung im Rahmen der geltend gemachten Wahlfehler gibt (vgl. OVG Brandenburg, Urt. v. 20.09.2001 – 1 A 15/00 -, juris Rn. 44 m. w. N.). Das öffentliche Interesse erfordert es, dass das nach § 49 Abs. 2 NKWG im Streitfall zur Entscheidung im Wahlprüfungsverfahren berufene Verwaltungsgericht die objektiv gebotene Wahlprüfungsentscheidung unabhängig von der vorherigen rechtlichen Einschätzung der beklagten Vertretung treffen kann (Urt. d. Kammer v. 24.06.2021 – 1 A 5987/20 -, juris Rn. 26). Dazu gehört auch die Bewertung, ob der Wahleinspruch den rechtlichen Anforderungen genügt und damit das Wahlprüfungsverfahren überhaupt eröffnet ist.

2.

27

Der Wahleinspruch ist unabhängig davon aber auch unbegründet. Ein Wahleinspruch ist begründet, wenn die Wahl nicht den Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes oder der Niedersächsischen Kommunalwahlordnung entsprechend vorbereitet oder durchgeführt oder in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG). Schon ein Wahlfehler – soweit die Wahleinspruchsgründe des Klägers nicht bereits präkludiert sind – in Gestalt eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 2 NKWG oder wegen einer unzulässigen Beeinflussung i. S. d. § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG liegt nach den konkreten Umständen nicht vor. Selbst bei anderer Betrachtungsweise hätte ein angenommener Wahlfehler die Ergebnisse der Wahlen jedenfalls nicht wesentlich (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG) beeinflusst.

28

a) Der Kläger kann mit seinem gegenüber dem Wahleinspruchsverfahren neuen Vorbringen, die G. hätte Wahlplakate zu früh aufgehängt, im Rahmen der Wahlprüfungsklage schon nicht mehr gehört werden. Das Wahlprüfungsgericht hat sich auf die Prüfung der bereits im Wahleinspruchsverfahren rechtzeitig vorgetragenen Gründe zu beschränken. Rügen, die nicht schon Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens vor der Vertretung waren, können im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nicht nachgeschoben werden, sondern sind materiell präkludiert. Die engen Fristenregelungen des Wahlprüfungsrechts (§§ 46 Abs. 3 Satz 1, 49 Abs. 2, 52b NKWG) beruhen darauf, dass die Entscheidung im Wahlprüfungsverfahren möglichst schnell erfolgen soll, um Gewissheit über den Bestand einer Wahl zu erhalten. Es soll insbesondere verhindert werden, dass sich durch neu vorgebrachte Einwendungen die Entscheidungen der Wahlprüfungsgerichte verzögern (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 07.01.2013 – 10 LA 138/12 -, juris Rn. 22; Thiele/Kamlage, a. a. O., § 46 Rn. 21 m. w. N.). Nicht präkludiert ist lediglich der vom Kläger bereits im Verfahren vor dem Beklagten thematisierte Wahleinspruchsgrund, dass der Beigeladene bei den Wahlhelfern in den Wahllokalen während der laufenden Abstimmung Schokolade als „Dankeschön“ abgegeben und damit die Wahlen unzulässig beeinflusst habe.

29

b) Die Verteilung von Schokolade an die Wahlhelfer in Verbindung mit dem dabei zum Ausdruck gebrachten Dank für die ehrenamtliche Tätigkeit stellt nach den konkreten Umständen indessen keinen Verstoß gegen § 33 Abs. 2 NKWG und auch ansonsten keine unzulässige Beeinflussung des Wahlergebnisses i. S. d. § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG dar.

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aa) Nach § 33 Abs. 2 NKWG sind während der Wahlzeit in und an dem Gebäude, in dem sich der Wahlraum befindet, sowie unmittelbar vor dem Zugang zu dem Gebäude jede Beeinflussung der wählenden Personen durch Wort, Ton, Schrift, Bild oder sonstige Darstellungen sowie jede Unterschriftensammlung verboten. Der Inhalt des in § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG verwendeten Begriffs der unzulässigen Beeinflussung einer Wahl geht weiter. Er ergibt sich nicht aus den Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes selbst, sondern ist aus dem Zweck des Wahlprüfungsverfahrens zu ermitteln, das dem objektiven Schutz des Wahlrechts und der Wahlgrundsätze dient; dies erfordert von allen mit der Durchführung der Wahlen betrauten Behörden, aber auch von anderen Organen der Kommunal- und Kreisverwaltung eine strikte Neutralität während des gesamten Wahlverfahrens (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 26.03.2008 – 10 LC 203/07 -, juris Rn. 26). Dies bedeutet aber nicht, dass Akteure einer unzulässigen Wahlbeeinflussung nicht auch Privatpersonen sein können, zu denen auch Wahlbewerber gehören. Insoweit ist indessen Zurückhaltung geboten. Eine ernstliche Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl und damit eine unzulässige Wahlbeeinflussung durch Einwirkungen von privater Seite kann regelmäßig nur angenommen werden, wenn sie mit Mitteln des Zwangs oder des Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst hat oder wenn in ähnlich schwerwiegender Art und Weise auf die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinreichende Möglichkeit der Abwehr oder des Ausgleichs bestanden hat (Nds. OVG, Beschl. v. 29.01.2009 – 10 LA 316/08 -, juris Rn. 11). Der Wahltag selbst und die Räumlichkeiten der Wahl sind besonders geschützt, was wiederum auch in § 33 Abs. 2 NKWG zum Ausdruck kommt. Ob eine unzulässige Beeinflussung eine subjektive Komponente bei der handelnden Person voraussetzt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang unentschieden geblieben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 09.05.2012 – 8 B 27/12 -, juris Rn. 9). Gegen das Erfordernis von Absicht oder Vorsatz bezüglich der Wahlbeeinflussung spricht indessen, dass es bei der Wahlprüfung um die materielle Integrität der Wahl geht, die objektiv-rechtlichen Charakter hat. Eine unzulässige – also rechtswidrige (vgl. Thiele/Kamlage, a. a. O., § 46 Rn. 8) – Beeinflussung setzt jedenfalls nicht etwa die gleichzeitige Verwirklichung eines Straftatbestandes nach den §§ 107 ff. StGB voraus.

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bb) Die in § 33 Abs. 2 NKWG beschriebenen Verhaltensweisen hat der Beigeladene gegenüber den auf die Stimmabgabe wartenden Wählern objektiv nicht verwirklicht. Handlungen in Wort, Ton, Schrift, Bild oder „sonstige Darstellungen“ lagen nicht vor. Die bloße erkennbare Anwesenheit in verschiedenen Wahllokalen, der Übergabeakt und der ausgesprochene Dank – soweit dies im Einzelfall von Wählern überhaupt zur Kenntnis genommen wurde – reicht dafür nicht aus. Dies gilt auch dann, wenn man in dem Verhalten des Beigeladenen jenseits eines altruistischen, ernst gemeinten Danks eine „Selbstdarstellung“ erblicken wollte. Rechtlich maßgeblich ist nicht, dass das Handeln des Beigeladenen sicherlich nicht als geschickt oder gar vorbildlich bezeichnet werden kann. Als beispielgebend kann nach Auffassung der Kammer nur ein Verhalten bewertet werden, dass jeden „bösen Schein“ eines Beeinflussungsversuchs von vornherein vermeidet und bei dem nicht unter Hinweis auf die Öffentlichkeit einer Wahl das rechtlich Zulässige ausgelotet wird. Die in § 33 Abs. 2 NKWG umschriebenen Verhaltensweisen müssen indessen nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift von einem gewissen Gewicht sein und überhaupt eine objektive Eignung zur Beeinflussung aufweisen. Schon an Letzterem fehlt es nach Auffassung der Kammer. Sollte dem Beigeladenen überhaupt vorgeschwebt haben, dass er mit seiner Aktion möglicherweise Stimmengewinne für sich und die G. bewirken könnte, handelte es sich um einen untauglichen Versuch der Beeinflussung. Nach Einschätzung der Kammer ist das Szenario, dass sich Wähler kausal unter dem Eindruck des „Kümmerns“ um die Wahlhelfer spontan für eine Stimmabgabe für den Beigeladenen als Bürgermeisterkandidaten oder die G. -Ratskandidaten entschieden haben, äußerst unwahrscheinlich und eher rein theoretischer Natur. Diese Sichtweise spräche letztlich den Wählern ein Mindestmaß an eigenständig abgewogener und nicht bloß impulsgesteuerter politischer Willensbildung ab. Dieser Sichtweise vermag die Kammer nicht beizupflichten. Zwar weisen Wahlentscheidungen neben rein rationalen sicher auch emotionale Komponenten auf. Die Wähler werden aber – wenn sie die Übergabe von Schokolade und das „Dankeschön“ im Einzelfall überhaupt mitbekommen und den Beigeladenen zugleich auch erkannt haben – das Verhalten des Beigeladenen einordnen können, ohne ihre Wahlentscheidung ad hoc ausgerechnet davon abhängig zu machen. Dies gilt für die zum Zeitpunkt der Übergabe anwesenden Wähler gleichermaßen wie für diejenigen, die nach der Vorstellung des Klägers im Freundes- und Verwandtenkreis noch am Wahltage davon erfahren haben. Auch hätte eine angenommene „sonstige Darstellung“ i. S. d. § 33 Abs. 2 NKWG nicht das erforderliche Gewicht. Nicht jeder Versuch der Beeinflussung eines Dritten kann sogleich einen Wahlfehler i. S. d. § 46 Abs. 1 NKWG zur Folge haben. Vielmehr obliegt es bei der Feststellung von nach § 33 Abs. 2 NKWG verbotenen Verhaltensweisen zunächst dem Wahlvorstand, diese zu unterbinden. In Anbetracht der vorliegenden konkreten Umstände bestand dazu aber nach Auffassung der Kammer noch nicht einmal Veranlassung. Das Verhalten des Beigeladenen bewegte sich in Anbetracht der geringen zeitlichen Präsenz und mangelnder objektiver Zielgerichtetheit bezüglich der das Wahllokal aufsuchenden Wähler im Bereich der Wahrnehmbarkeitsschwelle, was aus den vom Beklagten eingeholten Stellungnahmen der Wahlvorstände deutlich hervorgeht. Letztlich gab es noch keine „Aktionen“ des Beigeladenen, auf die die Wahlvorstände hätten reagieren müssen. Fehlt es bei lebensnaher Betrachtung schon im Rahmen des § 33 Abs. 2 NKWG an einer Beeinflussungseignung, gilt dies erst recht auch für den allgemeineren Begriff der unzulässigen Beeinflussung der Wahl in ihrem Ergebnis im Rahmen des § 46 Abs. 1 Satz 2 NKWG. Es kann zudem ersichtlich nicht die Rede davon sein, dass der Beigeladene mit Mitteln des Zwangs oder des Drucks oder in ähnlich gewichtiger Weise agiert hätte.

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Fehlt es an einer realen Beeinflussungseignung schon gegenüber den Wählern, die die Wahllokale aufgesucht haben, gilt dies erst recht in Bezug auf die Wahlhelfer in den Wahllokalen in ihrer Eigenschaft als Wähler. Bei diesen kommt hinzu, dass sie am Wahltag sicherlich vielfach mit Dank und Aufmerksamkeiten konfrontiert werden; so ist etwa in den eingeholten Stellungnahmen mehrfach von einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Präsentkorb mit Süßigkeiten die Rede, in den dann auch die vom Beigeladenen übergebene Packung „I. “ gelegt worden sei. Die Kammer geht davon aus, dass Wahlhelfer am Wahltag eher noch „unanfälliger“ für etwaige Beeinflussungsversuche hinsichtlich der eigenen Wahlentscheidung sind, als andere Wähler. Dass die Wahlhelfer durch das Verhalten des Beigeladenen dahingehend beeinflusst worden sein könnten, bei der Stimmauszählung gegebenenfalls den Beigeladenen rechtswidrig zu bevorteilen, liegt außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit und wurde noch nicht einmal vom Kläger selbst behauptet; in seinem im Verhandlungstermin überreichten Schriftsatz vom 11. März 2022 hat er klargestellt, dass eine Manipulation des Wahlvorstandes bzw. der Wahlhelfer von ihm nicht gerügt worden sei.

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c) Selbst wenn man entgegen der vorstehenden Ausführungen einen Wahlfehler bejahen würde und den Wahleinspruch daher als zulässig und begründet ansehen würde, bliebe die Wahlprüfungsklage ohne Erfolg, weil ein angenommener Rechtsverstoß das Wahlergebnis jedenfalls nicht wesentlich beeinflusst hat (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG). Von einem wesentlichen Einfluss auf das Wahlergebnis wird gemeinhin (nur) ausgegangen, wenn die Verteilung der Sitze einer gewählten Körperschaft ohne die Verstöße gegen das Wahlrecht anders ausgefallen wäre oder anders hätte ausfallen können. Dabei reicht für eine solche Prognose eine theoretisch-abstrakte Möglichkeit nicht aus; vielmehr bedarf es einer konkreten, nach der Lebenserfahrung begründeten Wahrscheinlichkeit, dass Wahlfehler im Hinblick auf die Sitzverteilung zu einer Verfälschung des Wählerwillens geführt haben. Eine nur ganz fernliegende Möglichkeit eines Einflusses auf das Wahlergebnis genügt hingegen für eine Wahlungültigkeitserklärung nicht. Die Stimmenverhältnisse und die Verhältnisse des Wahlkampfes sind dabei zu berücksichtigen (vgl. zur „Mandatsrelevanz“ und zu der erforderlichen Differenzierung bei Gremienwahlen einerseits und Direktwahlen von Einzelpersonen andererseits ausführlich: Urt. d. Kammer v. 09.02.2016 – 1 A 12763/14 -, juris Rn. 44 m. w. N.; Steinmetz, Kommunalwahlrecht Niedersachsen, 5. Aufl., S. 388 ff.).

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Von einer solchen nur ganz fernliegenden Möglichkeit einer anderen Mandatsverteilung bei der Wahl des Rates und einer wesentlich anderen Obsiegensquote des Beigeladenen bei der Bürgermeisterwahl ist hier auszugehen. Selbst unter Zugrundelegung einer Beeinflussungseignung in Einzelfällen wird diese nicht das vom Kläger beschriebene Ausmaß erreicht haben. Dass sich in jedem Wahllokal 30 Personen in der vom Kläger beschriebenen Weise hätten beeinflussen lassen, hält die Kammer für schlichtweg abwegig. Der Kläger bedient sich letztlich eines Rechenbeispiels, dass lediglich einen theoretisch-abstrakt möglichen anderen Ausgang der beiden Wahlen aufzeigt. Dabei hat er indessen nur Wähler im Blick, die sich durch das Verhalten des Beigeladenen möglicherweise haben positiv beeinflussen lassen. Dass das Verhalten theoretisch möglicherweise auch als unangebrachtes Verhalten gewürdigt worden sein könnte und sich auch zu Lasten des Beigeladenen und der der G. ausgewirkt haben könnte, blendet der Kläger aus.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO. Der jeweils durch den Beklagten und den Beigeladenen vollstreckbare Kostenerstattungsbetrag übersteigt die in § 708 Nr. 11 ZPO genannte Summe.

 


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