Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Hannover 12. Kammer | 12 B 5486/21 | Beschluss | Sozialtherapeutisches Wohnheim für psychisch kranke Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten und Desorientierung in allgemeinem Wohngebiet als Regelbebauung zulässig

Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Hannover 12. Kammer | 12 B 5486/21 | Beschluss | Sozialtherapeutisches Wohnheim für psychisch kranke Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten und Desorientierung in allgemeinem Wohngebiet als Regelbebauung zulässig

Am 24.09.2021 hat die Antragstellerin um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht. Sie hält den Eilantrag für zulässig, da die Baugenehmigung ihr gegenüber noch nicht bestandskräftig geworden sei. Sie habe erst im Spätsommer 2021 nach einer Akteneinsicht durch ihren Verfahrensbevollmächtigten davon erfahren, dass die Beigeladene eine „geschlossene psychiatrische Einrichtung“ errichten wolle. Nunmehr habe die Beigeladene auch mit Baumfällungen und Umbaumaßnahmen begonnen. Selbst wenn die Baugenehmigung bestandskräftig geworden wäre, sei sie zurückzunehmen, weil sie hinsichtlich der Genehmigung einer „geschlossenen psychiatrischen Einrichtung“ rechtswidrig sei. Die Baugenehmigung sei formell rechtswidrig, weil weder eine Nachbarbeteiligung durchgeführt worden sei noch die erforderlichen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans beantragt oder erteilt worden seien. Materiell verletze die Baugenehmigung ihren Gebietserhaltungsanspruch und verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Bei dem „beschützenden Bereich“ der genehmigten Einrichtung handele es sich nicht um eine Wohnnutzung, da es an der dafür erforderlichen Freiwilligkeit fehle. Unter § 1906 Abs. 1 Satz 1 BGB würden nur freiheitsentziehende Unterbringungen gegen den Willen des Betroffenen fallen. Daher sei jede Einrichtung, in der Unterbringungen nach § 1906 BGB erfolgten, bauplanungsrechtlich einer Klinik oder einem Krankenhaus gleichzustellen und in einem allgemeinen Wohngebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig. Hierfür hätte ein Sondergebiet ausgewiesen werden müssen, weil nur so die Abwägungsbelange der Nachbarn ausreichend hätten berücksichtigt werden können. Die Behauptung des Antragsgegners, dass eine Unterbringung oder Verwahrung der betroffenen Personen gegen ihren Willen nicht stattfinde, sei entweder contra legem oder unrichtig, was im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden müsse. Aus der geplanten Nutzung würden sich sehr viel stärkere Belastungen als durch eine reine Wohnnutzung ergeben. Mit dem Charakter eines allgemeinen Wohngebietes sei es unvereinbar, ein Freigelände einer geschlossenen Einrichtung mit hohem Sicherheitszaun zu installieren, in dem sich Menschen, denen die Freiheit entzogen worden sei, zwangsweise aufhielten. Zudem würden sich die Container im Freigelände nicht in die Umgebung einfügen, zu massiven optischen Beeinträchtigungen führen und mangels Lärmschutzes unzumutbare Lärmbelästigungen verursachen. Es hätte zumindest ein Sachverständigengutachten zum Lärmschutz eingeholt werden müssen. Das Vorhaben sei in keiner Weise mit den Grundzügen der Planung vereinbar. Das Plangebiet sei durch eine Villenstruktur geprägt, die überwiegend unter Denkmalschutz stehe, da G. in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts ein weltbekannter Kurort gewesen sei, in dem sich Staatsoberhäupter und berühmte Schriftsteller aufgehalten hätten. Kur- und Wanderwege würden direkt an den betroffenen Grundstücken vorbeiführen, der Englische Garten liege in unmittelbarer Nähe. Der Bebauungsplan schließe ausdrücklich störende Einwirkungen von Gewerbebetrieben und diesen gleichstehenden Einrichtungen auf das Wohnumfeld aus. Städteplanerisch strebe die Gemeinde eine Stärkung der Kurortqualität an und habe einen kostenintensiven Erholungsbereich mit gepflegtesten Gartenanlagen und Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiet im historischen Kern geschaffen, der mit einer käfigartigen Verwahrsituation (Container, hoher Sicherheitszaun) nicht vereinbar sei. Zwischen den erholungssuchenden Kurgästen und den zwangsweise untergebrachten Personen komme es zwangsläufig zu Spannungen. Erstere würden sich optisch und hochwahrscheinlich auch akustisch bedrängt und eingeschüchtert fühlen, letztere würden mit ebenfalls kranken Personen konfrontiert, die ihre Freiheit genießen dürften, und müssten die Schönheit des Naturschutzgebietes ohne die Möglichkeit, es zu betreten, ertragen. Die bodenrechtlichen Spannungen seien im konkreten Fall sogar noch höher als bei einer herkömmlichen Klinik oder einem Krankenhaus, weil die Betriebsbeschreibung keine hinreichende Betreuung sicherstelle. Ungeachtet dessen, dass keine Behandlung der Erkrankungen durch geschultes Personal stattfinde, fehle es an hinreichend qualifiziertem Personal. Eine 24-stündige Betreuung von Personen mit psychiatrischen Störungen und Desorientierung könne durch einen Sozialpädagogen und fünf Heilerziehungspfleger nicht geleistet werden. Der Antragsgegner hätte sich mit der Heimaufsicht abstimmen müssen, ob das Nutzungskonzept überhaupt genehmigungsfähig sei. Es werde bestritten, dass die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügungen stünden und dass die pflegerischen Leistungen sachgerecht in Containern erbracht werden könnten. Sollte es zutreffen, dass die Untergebrachten – wie vom Antragsgegner und der Beigeladenen behauptet – die Station jederzeit verlassen könnten, würde dies angesichts der massiven psychischen Störungen mit Verhaltensauffälligkeiten und Desorientierung der Personen zu nachbarlichen Spannungen und Gefährdungen führen, deren Umfang im Rahmen des Hauptsacheverfahrens durch ein Sachverständigengutachten zu klären sei. Beim Verlassen des Geländes bestehe eine unzumutbare Gefahr von unkalkulierbarem und damit fremdgefährdendem Verhalten. Die Betroffenen seien nicht in der Lage, sich im offenen Bereich kontrolliert sozialadäquat zu verhalten. Im Plangebiet gebe es typischerweise keine Gartenzäune und -tore und in unmittelbarer Nachbarschaft befänden sich ein Reitstall und eine Kindertagespflegeeinrichtung. Wenn Reiter, insbesondere ausreitende Kinder, an der Einrichtung vorbeiritten, könnten durch unbedachte laute Geräusche, Bewegungen und Reaktionen gefährliche Schrecksituationen entstehen. Für die Untergebrachten stelle der Reitstall mit seinen Sport- und Turnierpferden ein erhebliches Reizgefährdungspotential dar. Es drohten Verunfallungen von Reitern, Pferden, Untergebrachten und Anwohnern. Für die orientierungslosen Personen bedeute auch die direkte Nähe zum O. eine Gefährdung. An anderer Stelle in der Samtgemeinde sei ein neues Krankenhaus in einem Sondergebiet errichtet worden, in dem eine entsprechende Abteilung ohne bodenrechtliche Spannungen hätte integriert werden können. Es fehle an Feststellungen, weshalb das Vorhaben gerade am beabsichtigten Standort verwirklicht werden solle und warum die Therapieräume nicht im Hauptgebäude unterbracht würden. Das Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt, da von der geschlossenen Einrichtung und insbesondere von dem vorgesehenen Freigelände mit zwei Containern erhebliche Lärmbelästigungen und erhebliche beeinträchtigende Lichteinwirkungen etwa durch die Grundstückssicherung durch Scheinwerfer ausgingen, Einsichtsmöglichkeiten entstünden und der vorgesehene Zaun erdrückende Wirkung habe. Angesichts der Gefahrensituation für die Nachbarn und die Untergebrachten wäre selbst bei offenen Erfolgsaussichten die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs anzuordnen. Da die Beigeladene die psychiatrischen Störungen mit krankheitsbedingten Auffälligkeiten nicht weiter konkretisiert habe, könne nicht verlangt werden, dass sie, die Antragstellerin, bestimmte Verhaltensweisen benenne.

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

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