Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Stade 6. Kammer | 6 A 2174/17 | Urteil | Asyl Afghanistan

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Überdies ist selbst für die grundsätzliche Bewertung für arbeitsfähige Männer insbesondere maßgeblich, dass die Betreffenden ausreichend belastbar und durchsetzungsfähig sind und in Afghanistan über familiäre beziehungsweise soziale Beziehungen oder andere Unterstützung verfügen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. November 2020 – 13 A 11421/19, zitiert nach Juris). Dafür sind die Ausführungen von Schwörer (Auswirkungen der COVID-Pandemie auf die Lage in Afghanistan, Gutachten vom 30. November 2020 und Protokoll des VGH Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2020 in den Sachen A 11 S 2042/20 und A 11 S 2091/20) grundlegend (VG Stade, Urteil vom 9. Juli 2021 a.a.O. u.ö.). Dort wird insbesondere herausgestellt, dass es für jemanden, der ganz frisch sei und kein „Netzwerk“ habe, schwer vorstellbar sei, eine Anstellung zu finden. Auf dem sogenannten informellen Sektor verdienten Angestellte unabhängig von der Art der Tätigkeit zwischen 5 000 Afghani und 10 000 Afghani im Monat, bei sinkender Tendenz im Jahr 2020. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation und den stark eingeschränkten Ressourcen sei es aber unmöglich, ohne ein „Netzwerk“ solch eine Anstellung zu finden: Verwandte würden Außenstehenden vorgezogen. Viele Projekte mit großen Baustellen seien aufgrund COVID- 19 Epidemie bis auf Weiteres gestoppt; große öffentliche Bauvorhaben seien aufgrund der gesunken Steuereinnahmen eingestellt. Die Arbeit für Tagelöhner versiege nach Angaben eines Mitarbeiters der Weltbank im ganzen Land. Wirtschaftliche Investitionen seien auf einem Tiefpunkt und die wirtschaftliche Situation würde sich weiter verschlechtern. Nach Einschätzung eines WFP-Mitarbeiters habe COVID-19 besonders die Menschen in den Städten getroffen, da geschätzt 16 Millionen Afghanen auf Tagelöhnerarbeit angewiesen sind – und das seien die ersten gewesen, die ihre Arbeit verloren hätten. Weiter hat der Einzelrichter regelmäßig zu Grunde gelegt, dass ein Rückkehrer für einen begrenzten Übergangszeitraum eine Existenzgefährdung durch den Einsatz von durch IOM bereitgestellten Rückkehrhilfen sowie mit Hilfe von humanitären Flüchtlingsorganisationen in Afghanistan vermeiden könne. Diese Unterstützung hätten zwar auch die Klägerin erhalten können – Unterstützung in Gestalt von Geldzahlungen konnten afghanische Rückkehrer, die sich freiwillig in ihr Heimatland zurückbegeben, im Wesentlichen über zwei Programme erlangen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – A 11 S 2042720, zitiert nach Juris, Rdnr. 92 ff.). Das galt auch für den Fall, dass der Rückkehrer in Afghanistan auf eine negative Einstellung gestoßen sein sollte, weil er in Deutschland ohne Erfolg Asyl gesucht hat. Auch in diesem Fall konnte er nach Überzeugung des Gerichts von Unterstützungsprogrammen profitieren und seinen Lebensunterhalt sicherstellen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17, zitiert nach Juris, Rdnr. 343 ff.). Unter den dargestellten Verhältnissen ist es jedoch – insoweit selbständig tragend gegenüber der grundsätzlichen Annahme, dass die Klägerinnen keine zulässige Erwerbstätigkeit finden würden, weil sie derzeit Frauen ohne Schulabschluss und ohne Berufsausbildung sind – im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerinnen in absehbarer Zeit keine Beschäftigung finden können, die ihnen die nötigen finanziellen Mittel für die Beschaffung von Lebensmitteln und einer Unterkunft ermöglicht. Vor allem ist dies über die bezeichnete grundsätzliche Annahme hinaus der Fall, weil als gesichert festzustellen ist, dass es schon wegen der Einstellung des internationalen Bankverkehrs gegenwärtig keine Übergangshilfen geben kann, mit denen die Klägerinnen die Anfangszeit überbrücken könnten, bis sie eine Beschäftigung gefunden hätten. Ob insoweit auf Hawala-Überweisungen verwiesen werden kann, insbesondere des in Deutschland lebenden geschiedenen Ehemanns der Klägerin zu 1 und Vater der Klägerinnen zu 2 bis 4, lässt der Einzelrichter im Hinblick darauf dahinstehen, dass solche Überweisungen nach deutschen Recht strafbar sein dürften, weil damit unerlaubt Bankgeschäfte betrieben würden.

Original Quelle Niedersachsen.de

Bilder Pixabay / Original Quelle

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